Rechtsanwalt Dr. jur. Dirk Lindloff, Rechtsberater in Koblenz
Magazin
Unser Infoservice für Sie
Donnerstag, 02.10.2025

Störerhaftung in der Logistik bei Einzelpaketen

Was Lagerhalter, Fulfillment-Dienstleister und Spediteure beachten müssen



von
Dr. jur. Dirk Lindloff
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Fachanwalt für Informationstechnologierecht

Rufen Sie mich an: 0261 - 404 99 45
E-Mail:

Anlass und Einordnung: OLG Düsseldorf vom 7. August 2025 (20 U 9/25)

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte über ein praxisnahes Setup der grenzüberschreitenden E-Commerce-Logistik zu entscheiden. Im Kern ging es um einen in Deutschland ansässigen Dienstleister, der für nicht im Binnenmarkt ansässige Logistiker – namentlich aus China – eine deutsche Absender- und Retourenanschrift zur Verfügung stellte, Rückläufer bündelte und auf Anweisung erneut zur Zustellung bereitstellte. Auslöser des Verfahrens waren Testkäufe eines Sportartikelherstellers; die damit belegten Markenverletzungen knüpfte das Gericht an die adress- und retourenbezogene Mitwirkung des Dienstleisters. Der Senat ordnet das Geschäftsmodell als gefahrgeneigt ein und betont: Wer die letzte Meile bzw. das Retouren-Backbone für Direktimporte aus Drittstaaten bereitstellt, schafft in besonderer Weise die tatsächliche Möglichkeit, markenverletzende Warenströme zu erleichtern – und muss deshalb zumutbare Vorkehrungen treffen. 

Besonders hervorgehoben wird die spezifische Risikostruktur des hier betroffenen Geschäfts: Die für chinesische Onlinehändler maßgeblichen Logistikketten organisieren häufig eine Vorababführung von Zöllen, Steuern und Gebühren und minimieren damit das Risiko, dass Einzelpakete einer intensiven Zollkontrolle unterzogen werden. Diese Gestaltung – wirtschaftlich effizient und rechtlich zulässig, solange rechtmäßige Ware transportiert wird – macht die Dienstleistung zugleich auffällig attraktiv für den Versand markenrechtsverletzender Produkte. Der Senat greift in diesem Zusammenhang die markenrechtliche Erschöpfungsdogmatik auf: Originalware wird für Markenhersteller zwar in erheblichem Umfang in China gefertigt, erreicht den EWR aber typischerweise im Containerverbund über Hersteller/Distributoren. Demgegenüber sind Einzelpakete, die ein chinesischer Onlineshop direkt an Endkunden im EWR versendet, regelmäßig nicht erschöpft (Art. 15 Abs. 1 UMV); es fehlt an einem Inverkehrbringen durch den Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung im EWR. Gerade bei mit Marken gekennzeichneten Fanartikeln sei eine Rechtsverletzung damit „leicht zu erkennen“ – eine Feststellung, die den Maßstab für zumutbare Maßnahmen anhebt. 

Vor diesem Hintergrund formuliert das OLG klare Erwartungshaltungen an die Organisation von Logistikdienstleistern: Es sei jedenfalls zumutbar, sich von den Auftraggebern die Absender vorab elektronisch übermitteln zu lassen, diese zu überprüfen und auffällige Versender zu sperren. Schon eine einfache Internet-Suche zeige bei einschlägigen Shop-Namen, dass diese nahezu ausschließlich mit Vereins- und Herstellermarken versehene Trikots bewerben; in solchen Konstellationen ist markenverletzende Ware nahezu zwangsläufig. Wer gleichwohl mitwirkt, ohne risikominimierende Vorkehrungen zu treffen, handelt haftungsrechtlich nicht mehr neutral, meint das OLG Düsseldort. 

Die Grundlagen der Störerhaftung – praxisnah für die Logistik

Die Störerhaftung dient dazu, Unterlassungsansprüche gegen Akteure durchzusetzen, die zwar nicht Täter oder Teilnehmer der Rechtsverletzung sind, aber gleichwohl willentlich und adäquat-kausal dazu beitragen. „Beitrag“ bedeutet nicht nur die unmittelbare Durchführung, sondern kann bereits die Unterstützung einer eigenverantwortlichen Handlung Dritter umfassen, sofern rechtliche und tatsächliche Verhinderungsmöglichkeiten bestanden. Die Rechtsfolge ist regelmäßig Unterlassung – nicht Schadensersatz. Diese Leitgedanken sind ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und wurden vom OLG Düsseldorf zugrunde gelegt. 

Zugleich gilt eine wichtige Begrenzung: Die Störerhaftung darf nicht uferlos auf unbeteiligte Dritte erstreckt werden. Sie setzt die Verletzung zumutbarer Prüfungs- und Überwachungspflichten voraus, deren Umfang sich nach Rolle und Funktion des Inanspruchgenommenen, der Gefahrgeneigtheit des Geschäftsmodells sowie den Erkenntnismöglichkeiten bestimmt. Für Warenlogistik und Transport hat der BGH ausdrücklich betont, dass eine anlasslose, generelle Kontrolle sämtlicher in Besitz genommener oder beförderter Waren unzumutbar ist, weil dies den Warenverkehr unverhältnismäßig belasten würde. Erst wenn konkrete Hinweise vorliegen – etwa durch Abmahnung, Zollhinweis, wiederholte identische Retouren mit Fälschungsverdacht oder interne Treffer – entstehen gesteigerte Prüf- und ggf. Eingreifpflichten. Das Maß des Erforderlichen steigt mit der Offenkundigkeit: Ist die Rechtsverletzung unschwer erkennbar, sind weitergehende Maßnahmen zumutbar; ist die Rechtslage unklar oder bedarf tiefgehender Expertise, sind die Pflichten entsprechend geringer. Schließlich dürfen Maßnahmen nicht so weit gehen, dass das Geschäftsmodell wirtschaftlich ausgehöhlt wird. Diese Balance aus Effektivität und Verhältnismäßigkeit prägt die Rechtsprechung seit Jahren und findet im Düsseldorfer Urteil eine konsequente Anwendung. 

Auch unionsrechtlich wird diese Linie getragen: Art. 11 Satz 3 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG ermächtigt die Gerichte, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßnahmen anzuordnen – nicht nur zur Beendigung, sondern auch zur Vermeidung künftiger Verletzungen –, ohne dabei legitimen Handel zu behindern. Ordnungsmittel lassen sich abwenden, wenn betroffene Dienstleister nachweislich alle zumutbaren Schritte ergriffen haben. Diese Grundfigur des „zumutbaren Maßnahmenpakets“ ist mit der deutschen Störerhaftung deckungsgleich und eröffnet logistiktypische, organisatorische Lösungen statt pauschaler Vollkontrollen. 

Was das für Ihr Tagesgeschäft bedeutet

Übertragen auf Lagerhaltung, Fulfillment und Spedition lassen sich vier Leitlinien formulieren, die Sie – gerade im Umfeld drittstaatlicher Direktimporte – verlässlich steuern: Erstens gibt es keine anlasslose Vollkontrolle. Von Ihnen wird nicht verlangt, jedes Paket standardmäßig zu öffnen oder jedes eingelagerte Produkt rechtlich zu verifizieren. Solche Totalprüfungen wären unzumutbar und würden einen effizienten Warenverkehr unverhältnismäßig belasten. Zweitens entstehen Pflichten erst bei Hinweisen. Treffen bei Ihnen konkrete Anhaltspunkte ein – eine Abmahnung, ein Zollhinweis, wiederholte identische Retouren mit Fälschungsverdacht oder ein interner Treffer – müssen Sie die verfügbaren, wirtschaftlich vertretbaren Schritte einleiten, um die Lage aufzuklären und Wiederholungen zu verhindern. Drittens zählt die Offenkundigkeit. Je deutlicher eine Rechtsverletzung für Sie erkennbar ist – etwa wenn ersichtlich markierte Fanartikel aus einer einschlägig bekannten Quelle als Einzelpakete aus China an Endkunden gehen –, desto umfangreicher dürfen und müssen Ihre Maßnahmen sein; verlangt wird aber keine fachliche Tiefenprüfung in Grenzfällen. Viertens gilt keine Geschäftsmodell-Gefährdung: Maßnahmen müssen verhältnismäßig bleiben und dürfen die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit Ihrer Logistik nicht aushöhlen. Diese vier Kernsätze bilden den rechtssicheren Rahmen für ein praktisches Compliance-Design. 

Gerade dort, wo – wie im Düsseldorfer Verfahren – die Kombination aus Adressbereitstellung, Retourenhub und DDP-ähnlicher Vorababführung von Abgaben das Entdeckungsrisiko durch den Zoll reduziert, steigen die organisatorischen Anforderungen. Der Senat hält es hier für zumutbar, dass Sie sich die Absender vorab elektronisch melden lassen, diese mit einfachen Mitteln recherchieren und auffällige Versender sperren. Feeds von Auftraggebern zu Absendern, eine schlanke Whitelist/Blacklist-Logik und klar definierte Umleitungs- und Quarantänepfade für Hochrisiko-Sender sind typische Bausteine, mit denen Sie Hinweise effizient in operative Entscheidungen übersetzen – ohne den laufenden Betrieb zu lähmen. Wo einschlägige Absendernamen bereits im öffentlichen Netz sichtbar überwiegend mit markierten Fanartikeln werben, ist die Schwelle zur Offenkundigkeit regelmäßig überschritten; hier darf erwartet werden, dass Sie die Mitwirkung an der Zustellung unterbinden oder die Sendungen vorab in Ihr Lager umleiten, um – gestützt auf vertragliche Erlaubnisse – eine gezielte Sichtprüfung vorzunehmen. 

Dass diese Gestaltung nicht zu einer generellen Öffnungspflicht führt, betont das OLG ebenso wie der BGH seit Langem. Für Spediteure hat der Bundesgerichtshof bereits klargestellt, dass eine generelle Prüfungspflicht auf Schutzrechtsverletzungen durch transportierte Ware nicht besteht; erst bei konkreten Anhaltspunkten sind die zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um den Verdacht aufzuklären und die Mitwirkung an einer objektiv rechtswidrigen Handlung zu beenden. Diese Linie gilt heute fort – und sie trägt auch die Zumutbarkeitsabwägungen bei Fulfillment und Retouren-Backbones. 

Organisieren statt generalverdächtigen: Ein praxistaugliches Maßnahmenpaket

Für die Praxis bewährt sich ein integrierter Ansatz aus Governance, Vertrag und Betrieb: Auf Governance-Ebene definieren Sie ein klares Risikoprofil Ihrer Services – Adress-/Retourenservice, Konsolidierung, Re-Delivery, Fulfillment – und legen Verantwortlichkeiten fest. Dazu gehört eine zentrale Meldestelle mit kurzen Reaktionszeiten, eine saubere Beweissicherung (Label- und Sendungsdaten, Fotos auffälliger Retouren) sowie eine lückenlose Dokumentation für den Fall gerichtlicher Auseinandersetzungen. Vertragsseitig verpflichten Sie Auftraggeber zur Vorabübermittlung der Absender, sichern sich Sperr- und Kündigungsrechte bei Wiederholung sowie angemessene Kostenregelungen für Quarantäne- und Prüfmaßnahmen und gestatten gezielte Sichtprüfungen bei Indizien. Operativ schließlich richten Sie eine schlanke Prüf-Pipeline ein: Absender-Screening gegen Whitelist/Blacklist, Trigger für eng umrissene Stichproben (etwa bei wiederholten identischen Markenretouren aus demselben Absender-Cluster) und klare Umleitungslogiken in Quarantänebereiche, flankiert von Schulungen zu typischen Risikowaren wie Fanartikeln. So schaffen Sie ein belastbares „Notice-and-Action“ mit wirksamen „Stay-down“-Elementen – und erfüllen genau jene Anforderungen, die die Rechtsprechung als zumutbar beschreibt. 

Warum das Urteil wichtig ist – und wo die Grenzen bleiben

Das Düsseldorfer Urteil macht zweierlei deutlich: Zum einen genügt für Unterlassungsansprüche, dass ein Logistikdienstleister rechtsverletzendes Verhalten Dritter ermöglicht oder erleichtert und trotz konkreter Hinweise nichts unternimmt, um Wiederholungen zu verhindern. Zum anderen bleiben proaktive Vollkontrollen unzulässig; gefordert werden vielmehr organisatorische, vertragliche und gezielte operative Maßnahmen, die an der Risikoexposition des konkreten Geschäftsmodells ausgerichtet sind. Wer dies nachweisbar umsetzt, reduziert sein Haftungsrisiko signifikant, ohne den Warenfluss zu ersticken. Zugleich markiert die Rechtsprechung die Zumutbarkeitsgrenzen deutlich: Es gibt keinen Generalverdacht gegen Logistiker und keine Pflicht zur lückenlosen Echtheitsprüfung. Entscheidend ist die risikoadäquate Reaktion ab Hinweis und bei Offenkundigkeit. 

Schlussfolgerung

Für Lagerhalter, Fulfillment-Dienstleister und Spediteure gilt damit ein klarer Kompass: Anlasslose Totalüberwachung nein – effektive, dokumentierte Prävention bei Hinweisen ja. In Konstellationen mit erkennbar erhöhter Gefahrgeneigtheit – wie bei drittstaatlichen Einzelpaketen mit markierten Fanartikeln – steigen die Anforderungen an Absender-Vorabmeldungen, Recherche und Sperrlogik. Wer Governance, Vertrag und Betrieb entlang der oben beschriebenen Leitplanken aufstellt, bewahrt die Leistungsfähigkeit des Geschäftsmodells und minimiert zugleich sein Störer-Risiko. Das OLG Düsseldorf liefert hierfür eine präzise, praxisnahe Richtschnur, die sich nahtlos in die höchstrichterliche Linie einfügt. 

Dieser Beitrag bietet einen Überblick für die Praxis. Für Ihr konkretes Set-up empfiehlt sich eine individuelle Durchsicht Ihrer Verträge, Prozesse und IT-Schnittstellen.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.