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Wiederholungsgefahr ist kein Mittel der Verfahrenssicherung. Das ist eigentlich bekannt. Ebenso ist bekannt, dass bestimmte Tatsachen zur Begründung der Wiederholungsgefahr vorgetragen werden müssen. Das LG Koblenz hat, zu Recht, in seinem Beschluss vom 26.1.2023, Az. 4 Qs 6/23 - 30 Gs 9692/22, die - eigentlich bekannte - Rechtslage wiederholt.
„1.
Zwar besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen der dringende Tatverdacht, dass die Beschuldigte die im angefochtenen Haftbefehl vom 25.10.2022 in der Fassung vom 17.01.2023 genannten Taten begangen hat. Gegen die Annahme dieses dringenden Tatverdachts wendet sich die Beschwerdeführerin auch nicht.
2.
Es fehlt jedoch an einem erforderlichen Haftgrund. Es bestehen keine Haftgründe nach § 112 StPO. Eine Fluchtgefahr der Beschuldigten ist aufgrund ihres festen Wohnsitzes und ihrer familiären Beziehungen nicht erkennbar. Nach der fristlosen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die (…) ist eine etwaige Verdunkelungsgefahr jedenfalls entfallen.
Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr i.S.d. § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO liegt ebenfalls nicht vor.
Zwar ist die Beschuldigte dringend verdächtig, wiederholt - namentlich in 78 Fällen - die in § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO genannte Straftat des Betruges nach § 263 StGB begangen zu haben, wobei eine Vielzahl dieser Handlungen aufgrund des durch sie jeweils verursachten Schadens in Höhe von mehreren tausend Euro die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigen (vgl. zum schwerwiegenden Vermögensschaden beim Betrug: OLG Hamburg, Beschl. v. 20.7.2017 – 2 Ws 110/17, BeckRS 2017, 118720 Rn. 11, beck-online; OLG Naumburg, Beschluss vom 26. 7. 2011 - 1 Ws 615/11, NStZ-RR 2013, 49; BeckOK StPO/Krauß, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 112a Rn. 8 mit weiteren Nachweisen).
Auch ist hinsichtlich der Anlasstaten gemäß § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO im Hinblick auf die Vielzahl der Fälle sowie die jeweiligen Schadenssummen und aufgrund des Umstands, dass die Beschuldigte bereits einschlägig vorbestraft ist, sowie aufgrund des Strafrahmens des § 263 Abs. 3 S. 1 StGB von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe, die 1 Jahr übersteigt, zu erwarten. Insofern ist es bei mehreren Anlasstaten nicht erforderlich, dass für jede einzelne dieser Taten eine Straferwartung von mindestens einem Jahr besteht; vielmehr genügt es, dass die zu erwartende Gesamtfreiheitsstrafe die Grenze von einem Jahr übersteigt (BeckOK StPO/Krauß, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 112a Rn. 11).
Es fehlt jedoch an bestimmten Tatsachen, die die Gefahr begründen, dass die Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen wird.
Die wegen Wiederholungsgefahr (§ 112 a StPO) angeordnete Untersuchungshaft stellt kein Mittel der Verfahrenssicherung dar, sondern ist eine vorbeugende Maßnahme zum Schutze der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten und ist somit präventiv-polizeilicher Natur. Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind deshalb strenge Anforderungen an den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu stellen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21.1.2020 – 2 Ws 1/20, BeckRS 2020, 1561 Rn. 13, beck-online; OLG Köln, Beschl. v. 10.10.2018 – 2 Ws 571/18, BeckRS 2018, 41408 Rn. 9, beck-online).
§ 112a StPO setzt die mit bestimmten Tatsachen belegte Gefahr voraus, dass der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung der Tat, deren er dringend verdächtig ist, weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde. Grundlage der Prognose der Wiederholungsgefahr müssen bestimmte Tatsachen sein, die eine so starke innere Neigung des Beschuldigten zu einschlägigen Taten erkennen lassen, dass die Besorgnis begründet ist, er werde die Serie gleichartiger Taten noch vor einer Verurteilung wegen der Anlasstat fortsetzen (BeckOK StPO/Krauß, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 112a Rn. 13). Die Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens (OLG Köln, Beschl. v. 10.10.2018 – 2 Ws 571/18, BeckRS 2018, 41408, beck-online). Die allgemeine Befürchtung, es könne möglicherweise in einem unbestimmten Zeitraum zu gleichartigen Taten kommen, genügt nicht (BeckOK StPO/Krauß, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 112a Rn. 13).
Zwar sind bei der Prognose auch frühere Taten mitzuberücksichtigen, durch die ein verfestigtes kriminelles Handlungsmuster ersichtlich werden kann (BeckOK StPO/Krauß, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 112a Rn. 13) und die Kammer verkennt insoweit auch nicht, dass die Beschuldigte durch Strafbefehl des Amtsgerichts St. Goar vom 05.02.2016, rechtskräftig seit dem 15.03.2016, (Az. 2010 Js 62088/15) wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug in jeweils 8 Fällen zu Lasten ihres damaligen Arbeitgebers zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr auf Bewährung verurteilt wurde und somit einen Teil der hier in Rede stehenden Taten unter laufender Bewährung begangen hat. Ferner verkennt die Kammer nicht, dass die Beschuldigte im hiesigen Verfahren dringend verdächtig ist, Betrugstaten zum Nachteil zweier ihrer Arbeitgeber begangen zu haben.
Dennoch ist zu berücksichtigen, dass die Firma (…), bei der die Beschuldigte zuletzt beschäftigt war, das Arbeitsverhältnis zu der Beschuldigten mit Schreiben vom 26.10.2022 fristlos gekündigt hat (Bl. 514 d.A.). Der Beschuldigten ist es daher nicht mehr möglich, vergleichbare Straftaten zum Nachteil der (…) zu begehen.
Die Begehung gleichartiger Taten würde daher das Bestehen eines neuen Arbeitsverhältnisses voraussetzen, in welchem die Beschuldigte wiederum mit der Finanzbuchhaltung betraut wäre. Ein solches Arbeitsverhältnis müsste die Beschuldigte erst einmal finden und antreten. Zudem ist zu bedenken, dass die Beschuldigte sowohl bei der Firma (…) als auch bei der (…) erst über einen geraumen Zeitraum beschäftigt war, bevor die Betrugstaten ausgeführt wurden. Dies spricht dafür, dass die Beschuldigte einer entsprechenden Vorbereitungs- und Einarbeitungszeit in die Abläufe der Arbeitgeber bedurfte und vergleichbare Taten nicht ohne Weiteres unmittelbar vor einer etwaigen Verurteilung bei neuen potenziellen Arbeitgebern umsetzen könnte.
Auch wenn die mehrfache Begehung von Anlasstaten ein starkes Indiz für die Gefahr der Begehung weiterer gleichartiger Taten darstellen kann, ist im Rahmen der Gesamtabwägung einzustellen, dass die Beschuldigte zwar dringend verdächtig ist, gewerbsmäßigen Betrug zu Lasten ihrer Arbeitgeber in 78 Fällen begangen zu haben. Bei ihren Arbeitgebern nutzte die Beschuldigte jedoch immer wieder eine spezielle Vorgehensweise, um andere Mitarbeiter zu täuschen und diese zu der Freigabe von Zahlungen zu veranlassen. Sie bediente sich somit irgendwann eines „eingespielten“ Systems. Die Hemmschwelle nunmehr - angesichts des gegen sie geführten Ermittlungsverfahrens und einer Straferwartung im Falle einer Verurteilung von über einem Jahr - ein solches System bei einem anderen Arbeitgeber zu entwickeln und weitere Betrugstaten zu Lasten eines anderen Arbeitgebers zu begehen, dürfte erheblich höher sein.
Hinzu kommt, dass die Beschuldigte mit ihrem Mann, welcher einer Berufstätigkeit als (…) nachgeht, und ihrem (..)-jährigen Sohn in geordneten familiären Verhältnissen lebt. Die Beschuldigte hat nunmehr einen Zeitraum von über 2 Monaten in Haft verbracht, was die bislang haftunerfahrene Beschuldigte beeindruckt und die Hemmschwelle für die Begehung weiterer Taten heraufgesetzt haben dürfte.“
Allgemeine Befürchtungen reichen nicht aus.
Eine solche „Befürchtung“ könnte man bei allen Verfahren mit gleichen bzw. gleichartigen Handlungen annehmen bzw. behaupten. I.d.R. wird durch das Amtsgericht dann die Wiederholungsgefahr „gezogen“, wenn man mit anderen Haftgründen nur unter - eigenen – zurückgestellten Bedenken andere Haftgründe nicht wirklich für gegeben ansieht. Aus der Begründung ergibt sich dann, zwischen den Zeilen, dass 2 halbe, jeweils nicht wirklich vorliegende Haftgründe, ausreichend sein sollen für U-Haft. Dem ist von der Verteidigung stets energisch entgegenzutreten.
Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.