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Die Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 hatte verheerende Folgen: 135 Menschen kamen ums Leben, Tausende verloren ihr Zuhause. Neben den materiellen Schäden stehen bis heute Fragen nach der strafrechtlichen Verantwortung im Raum. Die juristische Aufarbeitung ist weiterhin im Gange – insbesondere mit Blick auf das Ermittlungsverfahren gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler.
Die Staatsanwaltschaft Koblenz stellte die Ermittlungen gegen den ehemaligen Landrat Jürgen Pföhler am 18. April 2024 ein. Diese Entscheidung stieß auf Kritik. Zahlreiche Betroffene und Hinterbliebene legten Beschwerde gegen die Einstellung ein.
In der Beschwerde, die mit einem 141-seitigen Schriftsatz und drei Sachverständigengutachten begründet wurde, fordern die Antragsteller eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Dabei stützen sie sich auf wissenschaftliche Analysen, die nahelegen, dass die Katastrophe ab einem bestimmten Zeitpunkt absehbar war und Warnungen hätten erfolgen müssen.
Eines der Gutachten stammt von Prof. Erwin Zehe, Hydrologe am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er kommt zu dem Ergebnis, dass bereits um 15:26 Uhr am Tag der Katastrophe ein Wasserstand von bis zu 1,83 Metern in der Wohnung einer der späteren Todesopfer absehbar gewesen sei. Nach dieser Analyse hätten Warnungen frühzeitig erfolgen können und müssen. Stattdessen ging die Staatsanwaltschaft Koblenz in ihrem Einstellungsbescheid vom 18.04.2024 davon aus, dass nach der Hochwassergefahrenkarte lediglich ein maximaler Wasserstand von 1 Meter zu erwarten war und deshalb keine Evakuierungserforderlichkeit zur Rettung von Menschenleben erforderlich sei.
Der Katastrophenforscher Frank Roselieb, Universität Kiel, hält die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz ebenfalls nicht für vertretbar.
Nach seiner Auffassung unterschätzt die Staatsanwaltschaft Koblenz die Bedeutung der präventiven Maßnahmen in der potenziellen Katastrophenphase deutlich, übersieht die Grundkausalität von Dienstvorschriften zum Katastrophenmanagement und schätzt das Entscheidungsverhalten im Katastrophenmanagement substanziell falsch ein.
Nach Auffassung von Roselieb war die Art der Beauftragung eines Katastrophengutachtens durch die Staatsanwaltschaft Koblenz im Ermittlungsverfahren in Teilen lenkend, was Fragen aufwerfe.
Der weitere Katastrophenschutzexperte Gerd Gräff, Herausgeber zweier Katastrophenschutzkommentare in Rheinland-Pfalz betont, dass es sich nicht um ein völlig unerwartetes Naturereignis gehandelt habe. Vielmehr habe es bereits verbindliche Hochwassergefahrenkarten gegeben, die die Risiken klar aufzeigten. Die Sachverständigen sehen daher eine Rechtspflicht der zuständigen Behörden, frühzeitig zu reagieren und die Bevölkerung zu warnen.
Eine Videoaufzeichnung von Frau Johanna Orth ist dabei zu entnehmen, dass die Feuerwehr mangels entsprechendem Einsatzbefehls noch gegen 20:17 Uhr nur davor warnte, Keller, Tiefgaragen und tiefergelegenes Gelände zu betreten. Nach dem Inhalt einer KATWARN-Meldung von 19:35 Uhr war bereits davor gewarnt worden, Erdgeschosswohnung zu betreten. Im Jahre 2021 konnte die wenigsten Menschen KATWARN-Meldungen empfangen. Es ist bewiesen, dass auch Frau Johanna Orth auf ihrem Handy über keine KATWARN-APP verfügte.
Die auf Kausalitätsfragen spezialisierte renommierte Professorin Prof. Dr. Ingeborg Puppe, Universität Bonn, kommt zu der Einschätzung, dass die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Koblenz rechtlich nicht haltbar ist.
Diese Auffassung wird einhellig in der strafrechtlichen Fachkommentierung geteilt (vgl. vgl. BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg/Kudlich, 64. Edition Stand: 01.02.2025, BeckOK StGB/Heuchemer, 64. Ed. 1.2.2025, StGB § 13 Rn. 48,6).
Diese Auffassungen sind zutreffend, da in den Einstellungsbescheiden zu Lasten der Getöteten dahingehend spekuliert wird, die Getöteten hätten möglicherweise Warnungen ignoriert.
Am 14. März 2025 wurde die Petition der Hinterbliebenen vor dem Verwaltungsgericht Mainz verhandelt.
Der Grund hierfür war, dass Hinterbliebene am 15.04.2024 einen Antrag beim Justizministerium auf Auswechselung der Staatsanwälte wegen Besorgnis der Befangenheit gegen unabhängige Staatsanwälte nach § 147 Nr. 2 GVG beantragt hatten.
Dem Verletztenvertreter waren wesentliche Informationen vorenthalten worden. Zudem hatte der Verletztenvertreter zur weitergehenden Stellungnahme Akteneinsicht in die Protokolle des Untersuchungsausschusses beantragt. Zur Akteneinsicht kam es bis zur Einstellung des Verfahrens jedoch nicht. Stattdessen wurde ein von der Nebenklage abgelehnter Gutachter hinter dem Rücken der Nebenklage von der Staatsanwaltschaft Koblenz erneut beauftragt.
Das Justizministerium hatte den Antrag als Dienstaufsichtsbeschwerde ausgelegt und zur Prüfung an die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz vorgelegt. Hier wurde die als Dienstaufsichtsbeschwerde ausgelegte, an das Ministerium gerichtete Petitionsbitte zurückgewiesen.
Die Kläger argumentierten vor dem Verwaltungsgericht, dass die Petition bis heute nicht vom Justizministerium Rheinland-Pfalz ordnungsgemäß geprüft worden war.
Es konnte ermittelt werden, dass nach einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Koblenz, diese vorgetragen haben soll, dass der Verletztenvertreter alle wesentlichen Informationen bei Stellung des Ersetzungsantrags erhalten hätte. Dies entspricht nicht der Wahrheit. Über diese Mitteilung ist der Rechtsausschuss des Landtags informiert worden.
Weitere Informationen zum Verfahren finden Sie im Hintergrundbericht auf LTO:
VG Mainz zur Flutkatastrophe im Ahrtal
Nach hiesiger Auffassung konnte die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz nachvollziehbar mangels Zuständigkeit nicht über den Antrag auf Ersetzung der Staatsanwälte durch unabhängige Staatsanwälte entscheiden, da sie im Einzelfall nicht über das sog. externe Weisungsrecht des Ministeriums verfügen konnte.
Für Hinterbliebene und Betroffene der Ahrflut stellt sich die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten sie haben, wenn eine Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar erscheint. Wenn Sie betroffen sind oder rechtliche Fragen haben, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.
Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.