Rechtsanwalt Ralph Muthers, Rechtsberater in Koblenz
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Donnerstag, 24.10.2024

Update zur Zeiterfassungspflicht

Welche Regeln sind einzuhalten?



von
Ralph Muthers
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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In seinem viel beachteten Beschluss vom 13.09.2022 (Az. 1 ABR 22/21) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG verpflichtet sind, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer zu erfassen. Diese Pflicht, so die Richter des Bundesarbeitsgerichts, folge aus einer europarechtlichen Auslegung der Bestimmung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG. Diesem Beschluss vorausgegangen ist eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14.05.2019 (Az. C 44/18), wonach die europäische Arbeitszeitrichtlinie Arbeitgebern vorschreibe, die Arbeitszeit der Beschäftigten zu erfassen. Die Mitgliedstaaten sind nach der Entscheidung des EuGH verpflichtet, dafür zu sorgen, dass jeder Arbeitgeber ein objektives, verlässliches und zugängiges System einrichtet, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.  An diese Entscheidung knüpfte das Bundesarbeitsgericht an und leitet nunmehr aus dem Arbeitsschutzgesetz eine Verpflichtung zur Zeiterfassung her.

Welche Vorgaben macht das Bundesarbeitsgericht genau? Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeber verpflichtet, ein System einzurichten, mit dem Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeiten einschließlich der Überstunden der Arbeitnehmer erfasst werden. Im Unterschied zur geplanten Neuregelung in § 16 Abs. 2 ArbZG (dazu sogleich mehr) muss diese Zeiterfassung aber nicht zwingend elektronisch geschehen.  Es genügen derzeit also rein theoretisch „Papier und Stift“.  Das Bundesarbeitsgericht lässt es ausweislich seines Beschlusses vom 13.09.2022 auch ausdrücklich zu, die Aufzeichnungen an die Arbeitnehmer zu delegieren. Dies entbindet den Arbeitgeber aber nicht davon, die Richtigkeit der Aufzeichnungen der Arbeitnehmer zumindest im Wege einer Stichproben- oder Plausibilitätskontrolle zu unterziehen (so auch so z.B. Prof. Dr. Bayreuther in Arbeitszeiterfassung - Aktueller Stand und offene Fragen, ArbuR 2024, 190 ff.). 

Mit einiger Verzögerung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im April 2023 einen Vorschlag zur Ausgestaltung der Zeiterfassungspflicht unterbreitet.  Demnach schlägt das Bundesministerium für die Erfassung der Arbeitszeit unter anderem vor, die derzeitige Regelung in § 16 Abs. 2 ArbZG, wonach die über 8 Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen ist, zu ändern und § 16 Abs. 2 ArbZG wie folgt neu zu fassen:

„Der Arbeitgeber ist verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen. Er hat ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Absatz 7 eingewilligt haben. Der Arbeitgeber hat die Arbeitszeitnachweise nach Satz 1 und 2 mindestens zwei Jahre aufzubewahren.“

Außerdem sollten folgende Neuregelungen und neue Absätze in § 16 ArbZG eingefügt werden:

„(3) Die Aufzeichnung nach Absatz 2 Satz 1 kann durch den Arbeitnehmer oder einen Dritten erfolgen; der Arbeitgeber bleibt für die ordnungsgemäße Aufzeichnung verantwortlich.

(4) Wenn die Aufzeichnung nach Absatz 2 Satz 1 durch den Arbeitnehmer erfolgt und der Arbeitgeber auf die Kontrolle der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichtet, hat er durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass ihm Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden.

(5) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit nach Absatz 2 Satz 1 zu informieren. Er hat dem Arbeitnehmer auf Verlangen eine Kopie der Aufzeichnungen zur Verfügung zu stellen.

(6) Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, die für die Kontrolle der Einhaltung der Arbeitszeitvorschriften erforderlichen Aufzeichnungen im Inland für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmer im Geltungsbereich dieses Gesetzes, mindestens für die Dauer der gesamten Werk- oder Dienstleistung, insgesamt jedoch nicht länger als zwei Jahre in deutscher Sprache bereitzuhalten. Auf Verlangen der Aufsichtsbehörde sind die Unterlagen auch am Ort der Beschäftigung bereitzuhalten, bei Bauleistungen auf der Baustelle.“

Geplant ist also eine gesetzliche Regelung zur elektronischen Aufzeichnung von Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit, wobei die Aufzeichnung nach dem neu geplanten § 16 Abs. 3 ArbZG auch durch Dritte (und damit auch durch den Arbeitnehmer erfolgen kann).

Zustande gekommen ist eine neue gesetzliche Regelung unterdessen immer noch nicht. Im Juli 2024 teilte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Gruppe „Die Linke“ mit, dass derzeit kein Zeitplan aufgestellt werden könne, wann das Gesetz zur Arbeitszeiterfassung für alle Beschäftigten kommen wird.

https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1011608

Damit ist völlig unklar, ob (und wenn ja mit welchen Regelungen) die geplante gesetzliche Regelung noch in dieser Legislaturperiode kommt. Eine umfassende gesetzliche Neuregelung zur Zeiterfassung ist derzeit damit offensichtlich noch in weiter Ferne. Es bleibt vorerst bei vereinzelten Regelungen wie z.B. der des § 16 Abs. 2 ArbZG, wonach der Arbeitgeber verpflichtet ist, die über die werktägliche Arbeitszeit des § 3 Satz 1 ArbSchG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Ebenfalls sehr praxisrelevant ist die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG, wonach ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmer nach § 8 Abs. 1 SGB IV oder in den in § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes genannten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigt, verpflichtet ist, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer spätestens bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages aufzuzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre beginnend ab dem für die Aufzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt aufzubewahren.

Was bedeutet dies nunmehr für Arbeitgeber?

Welche Rechtsfolgen ergeben sich, wenn Arbeitgeber aktuell die Arbeitszeit entgegen der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht erfassen?

Die Konsequenzen sind derzeit gering. Denn zunächst weist § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG eine „geringe Durchschlagskraft“ auf. Verstöße gegen diese Norm (und damit die Zeiterfassungspflicht) sind derzeit nicht unmittelbar bußgeldbewehrt. Die Aufsichtsbehörden können den Arbeitgeber zwar rein theoretisch über eine Anordnung nach § 22 Abs. 3 ArbSchG zur Einrichtung einer Zeiterfassung verpflichten. Allenfalls wenn der Arbeitgeber dieser Anordnung dann nicht nachkommt, droht ein Bußgeld (§§ 25 Abs. 1 Nr. 2 a) ArbSchG). Und auch dies wird von namhaften Stimmen in der arbeitsrechtlichen Literatur abgelehnt (so z.B. Prof. Dr. Bayreuther in Arbeitszeiterfassung - Aktueller Stand und offene Fragen, ArbuR 2024, 190 ff.: „Denn bereits der Umstand, dass eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Arbeitgebers zur Zeiterfassung nicht eindeutig festgelegt ist, könnte für die Annahme reichen, dass die Sanktionierung der Nichterfassung gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstößt). 

Hinzukommt, dass das Fehlen einer Zeiterfassung nach derzeitiger Rechtsprechung nicht zu Beweiserleichterungen des Arbeitnehmers in einem Überstundenprozess führt.  Begehrt der Arbeitnehmer Vergütung für geleistete Überstunden, muss dieser detailliert vortragen, an welchen Tagen er von wann bis wann genau gearbeitet hat oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereitgehalten hat (vgl. zum Beispiel BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 359/21, NZA 2022, 1267 ff.). Der Anspruch setzt des Weiteren voraus, dass die Überstunden vom Arbeitgeber angeordnet, gebilligt oder geduldet wurden oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren und der Arbeitnehmer dies schlüssig darlegt. Der Arbeitnehmer trägt also die sog. Darlegungs- und Beweislast, was erfahrungsgemäß zu erheblichen Schwierigkeiten für Arbeitnehmer in einem Arbeitsgerichtsprozess führt.

Ganz anders würde dies vermutlich aussehen, wenn der Arbeitnehmer Nachweise bzw. Belege aus einer Zeiterfassung vor Gericht vorlegen könnte. So hat das Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit bereits entschieden, dass den Nachweisen aus einer Zeiterfassung eine Vermutung für deren Richtigkeit zukommt (BAG, Urt. v. 26.6.2019 – 5 AZR 452/18). Es ist dann Aufgabe des Arbeitgebers hierauf substantiiert zu erwidern, dass und warum die aufgezeichneten Arbeitszeiten nicht richtig sein sollen, was Arbeitgeber im Regelfall vor nicht zu meisternde (oder überwindende) Hürden stellen wird.

Was ist aber, wenn der Arbeitgeber entgegen der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Zeiterfassung in seinem Unternehmen durchführt?  Nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.05.2022 kann der Arbeitnehmer die Anordnung von Überstunden im Arbeitsgerichtsprozess nicht alleine dadurch belegen/vortragen, dass die Arbeitszeit nicht aufgezeichnet worden ist (BAG, Urt. v. 04.05.2022 – 5 AZR 474/21). Das Fehlen (der aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts über § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG vorgeschriebenen) Zeiterfassung führt also nicht zu Beweiserleichterungen des Arbeitnehmers im Überstundenprozess. Umgekehrt würde das Vorhandensein einer Zeiterfassung zu Beweiserleichterungen im Überstundenprozess führen, sofern sich aus diesen die Existenz von Überstunden ergibt.

Damit ist das Fehlen einer Arbeitszeiterfassung nach derzeitiger Rechtslage für Arbeitgeber praktisch folgenlos. Daher scheint es aktuell nicht zwingend geboten, in vorauseilendem Gehorsam ein aufwendiges und kostspieliges Zeiterfassungssystem auszuweiten oder einzuführen, das mit Tätigwerden des Gesetzgebers sicherlich wieder angepasst werden muss (so auch ausdrücklich Dr. Block und Jan Buschmann, Gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung, RFamU 2023, 29). Es ist mindestens vertretbar, die genaue Vorgabe des Gesetzgebers abzuwarten, um dann darauf gestützt ein Zeiterfassungssystem einzuführen. Alternativ bietet es sich übergangsweise an, die Erfassung mittels Excel-Sheet individuell anzuweisen, dies stichprobenartig zu kontrollieren und kollektiv an die Pflicht zur Einhaltung der gesetzlichen Arbeits- und Ruhezeiten zu erinnern.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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