Rufen Sie mich an: 0261 - 404 99 25
E-Mail:
Starker Harndrang kann in Bußgeldverfahren als Notstand gemäß § 16 OWiG geltend gemacht werden, doch Gerichte erkennen dies nur in Ausnahmefällen an.
Zuweilen wird in Bußgeldverfahren seitens des Betroffenen vorgetragen, dass eine Geschwindigkeitsüberschreitung aufgrund starken Harndrangs entstanden sei, da er eine Haltemöglichkeit habe erreichen wollen. Der Betroffen versucht damit eine Notstandslage gem. § 16 OWiG vorzutragen, die zum Entfallen der Rechtswidrigkeit der Tat führen kann. Wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung ggf. durch einen Notstand gerechtfertigt war, hätte dies einen Freispruch zur Folge. OLG Brandenburg NZV 2020, 106.
Die Tendenz der Rechtsprechung ist jedoch kritisch. Gerichte verneinen regelmäßig die Voraussetzungen des § 16 OWiG und argumentieren: Der bloße Umstand einer bestimmten körperlichen Disposition reicht hier noch nicht, da ansonsten der hiervon betroffene Personenkreis gleichsam einen „Freibrief“ für pflichtwidriges Verhalten im Straßenverkehr erhalten würde. Grundsätzlich muss der Betroffene mit einer solchen körperlichen Disposition seine Fahrt entsprechend planen, gewisse Unwägbarkeiten (wie etwa Stau, Umleitungen etc.) in seine Planungen einstellen und entsprechende Vorkehrungen treffen oder ggf. auf anfänglich auftretenden Harm- oder Stuhldrang rechtzeitig reagieren, damit ihn ein starker Drang zur Verrichtung der Notdurft nicht zu pflichtwidrigem Verhalten verleitet.
Nur in Ausnahmefällen kann der Vortrag plötzlich auftretenden Harndrangs dazu führen, dass Notstand anzunehmen ist oder von der Anordnung eines Regelfahrverbots abgesehen werden kann. Werden vom Betroffenen für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls Tatsachen mitgeteilt, so muss sich der Tatrichter allerdings (auch) bei der Rechtsfolgenbemessung hiermit auseinandersetzen und ggf. entsprechende Feststellungen treffen. OLG Hamm, SVR 2018, 35
Lässt sich der Betroffene etwa dahingehend ein, er verfüge nach einer Prostataoperation nur noch über eine eingeschränkte Kontinenz und habe während der tatgegenständlichen Fahrt starken, schmerzhaften Harndrang verspürt, so dass er nur noch darauf fokussiert gewesen sei, „rechts ranfahren“ zu können, wobei er zuvor eine entsprechende Gelegenheit zum Anhalten auf der Bundesautobahn nicht gefunden habe, könnte die Geschwindigkeitsüberschreitung gerechtfertigt sein.
Entscheidend für die gerichtliche Bewertung ist die Frage, wann und wo der Betroffene seine Fahrt angetreten hat und wie lange er bereits unterwegs war. Falls er bereits vor Fahrtantritt oder während der Fahrt zu einem früheren Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, eine Pause einzulegen, scheidet eine Notstandslage aus. Notstand kommt ebenfalls nicht in Betracht, wenn der Fahrer schon bei Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung mit dem Harn- oder Stuhldrang rechnen musste. AG Lüdinghausen DAR 2014, 217
Notstand ist nicht gegeben, wenn der Fahrer bereits vor Beginn der Geschwindigkeitsbeschränkung mit seinem Harndrang rechnen musste. Wer beispielsweise bereits zu Fahrtbeginn weiß, dass er krankheitsbedingt unter erhöhtem Harndrang leidet, aber nicht die erforderlichen Vorkehrungen trifft, um pflichtgemäß fahren zu können, setzt sich sogar einem erhöhten Pflichtwidrigkeitsvorwurf aus. OLG Hamm NStZ-RR 2017, 390
War kurz vor der Messörtlichkeit eine Raststätte, so sollte eine dahin gehende Einlassung nicht erfolgen.
Es kann das Maß der Pflichtwidrigkeit zuweilen sogar erhöhen, wenn der Betroffene trotz einer entsprechenden körperlichen Disposition gleichwohl eine Fahrt durchführt und dabei die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet, ohne Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, einen plötzlich auftretenden starken Harndrang zu vermeiden oder ihm rechtzeitig abzuhelfen. Diese Fallkonstellation legt sogar vorsätzliches (statt fahrlässiges) Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nahe. OLG Brandenburg NZV 2020, 106
Eine pauschale Berufung auf Notstand wegen Harndrangs wird von den Gerichten meist nicht akzeptiert. Wer aus gesundheitlichen Gründen unter erhöhtem Harndrang leidet, sollte dies bei der Fahrtplanung berücksichtigen und regelmäßige Pausen einlegen. Andernfalls kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht nur geahndet, sondern sogar als vorsätzliches Fehlverhalten gewertet werden.
Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.