Rechtsanwalt Dr. jur. Dirk Lindloff, Rechtsberater in Koblenz
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Mittwoch, 22.06.2022

Geldentschädigung, wenn zwingend "Herr" oder "Frau" angegeben werden muss



von
Dr. jur. Dirk Lindloff
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz
Fachanwalt für Informationstechnologierecht

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Wir hatten vor knapp einem Jahr berichtet, dass "Herr oder Frau als einzige verpflichtende Anredeauswahlmöglichkeiten auf Webseiten nicht ausreichend" ist. Unserem Artikel lag ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main zu Grunde, welches die Vertriebstochter des größten deutschen Eisenbahnkonzerns zur Unterlassung verpflichtet hatte, weil eine geschlechtsneutrale Anredeoption auf den Webseiten des Konzerns fehlte. Personen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität würden bei fehlender geschlechtsneutraler Anredeoption in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.

Bestätigt durch OLG

Dieses Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main wurde nun vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Urteil vom 21.06.2022 bestätigt.

Verschärft durch OLG

Umfassende Unterlassung

Zudem sieht das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Sache noch schärfer als das Landgericht. Während sich das Landgericht auf die Bereiche Webseite, Ausstellung von Fahrkarten u.ä., Schreiben des Kundenservice, Rechnungen sowie begleitender Werbung und in der Verwaltung der Daten bezog, hat das Oberlandesgericht nun umfassend für sämtliche Angebote der Beklagten entschieden, dass mehr als nur "Herr" oder "Frau" möglich sein muss. Immerhin wurde für den Online-Bereich (nicht persönliche Kommunikation) eine großzügige Umsetzungsfrist bis zum Jahresende 2022 gewährt. In der individuellen Kommunikation ist das Urteil sofort zu beachten.

Geldentschädigung

Vor allem aber hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main der klagenden Partei eine Geldentschädigung von 1.000 € zugesprochen. Gemäß der derzeit vorliegenden Pressemitteilung wird dies wie folgt begründet:

Die klagende Person habe infolge der Verletzung des Benachteiligungsverbots einen immateriellen Schaden erlitten, begründet das OLG. Sie erlebe „die Zuschreibung von Männlichkeit“ seitens der Beklagten als Angriff auf die eigene Person, welche zu deutlichen psychischen Belastungen führe. Die Entschädigung in Geld sei angemessen, da sie der klagenden Person Genugtuung für die durch die Benachteiligung zugefügte Herabsetzung und Zurücksetzung verschaffe. Abzuwägen seien dabei die Bedeutung und Tragweite der Benachteiligung für die klagende Person einerseits und die Beweggründe der Beklagten andererseits. Die Benachteiligungen für die klagende Person sei hier als so massiv zu bewerten, dass sie nicht auf andere Weise als durch Geldzahlung befriedigend ausgeglichen werden könnten. Zu Gunsten der Beklagten sei aber zu berücksichtigen, dass keine individuell gegen die Beklagte gerichteten Benachteiligungshandlungen erfolgt seien. Zudem handele es sich bei der Frage der Anerkennung der Persönlichkeitsrechte von Menschen mit nicht-binärer Geschlechtsidentität um eine neuere gesellschaftliche Entwicklung, welche selbst in der Gleichbehandlungsrichtlinie aus dem Jahr 2004 (RL 2004/11/EG) noch keinen Niederschlag gefunden habe. So sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Einführung ihrer Software in Bezug auf den Online-Ticketkauf bewusst oder absichtlich zur Benachteiligung nicht-binärer Personen eine geschlechtsneutrale Erwerbsoption ausgespart habe. Allerdings habe die Beklagte ihre IT-Systeme im Unterschied zu anderen großen Unternehmen bislang nicht angepasst. Zudem sei ihr vorzuhalten, dass sie gerade in der individuellen Kommunikation mit der klagenden Person – so etwa hinsichtlich der BahnCard – nach wie vor eine unzutreffende männliche Anrede verwende.

Geänderte rechtliche Begründung

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat entgegen dem Landgericht eine unmittelbaren Benachteiligung im Sinne der §§ 3, 19 AGG aus Gründen des Geschlechts und der sexuellen Identität bei der Begründung und Durchführung von zivilrechtlichen Schuldverhältnissen im Massenverkehr angenommen.

Das Merkmal der Begründung eines Schuldverhältnisses im AGG sei dabei weit auszulegen und nicht nur auf konkrete Vertragsanbahnungen zu beziehen. Es umfasse auch die Verhinderung geschäftlicher Kontakte, wenn Menschen mit nicht-binärer Geschlechtszugehörigkeit gezwungen würden, für einen Online-Vertragsschluss zwingend die Anrede „Herr“ oder „Frau“ auszuwählen.

Auf Basis des AGG stand der klagenden Partei daher auch eine Geldentschädigung zu.

Folgeverfahren (Abmahnungen) drohen

Das nun eine Geldentschädigung zugesprochen wurde, erhöht der Risiko für Unternehmen deutlich, wegen ähnlich bestehenden Auswahlzwang in Anspruch genommen zu werden.

Spätestens jetzt sollten alle Online- und Offline-Kundenverwaltungssysteme daraufhin überprüft werden, ob eine geschlechtsneutrale Anrede möglich ist. Möglichkeiten der Umsetzung haben wir in unserem früheren Artikel beleuchtet.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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