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Freitag, 01.04.2011

Der Zeuge im Strafprozess - Einzelfallbetrachtungen



von
Markus Schmuck
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht

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I. Einleitung

Ein Amtsrichter wird über den Inhalt einer Zeugenaussage als Zeuge befragt. Ob er als Strafrichter den damaligen Zeugen angeschrien habe: „Sagen Sie jetzt die Wahrheit oder ich lasse Sie einsperren“. Der Richter lacht kurz auf und sagt: „Das kann gut sein, dass ich das gesagt habe. Und wenn der OStA (...) dagewesen wäre, der hätte es sogar gemacht.“. Man fühlt sich in die Essays von Tucholsky aus den zwanziger Jahren zurückversetzt – jedoch was hilfts? 2010, nicht 1927 wurde die Aussage des Amtsrichters protokolliert.

Betrachtenswert erscheinen insoweit die Alternativen des Zeugen im Strafprozess und die Handlungsoptionen der Verteidigung hierzu.

II.           Wahrheitspflicht und Verweigerungsrecht

Die Rolle des Zeugen im Strafprozess wird seitens des Gesetzgebers durch widerstreitende Grundprinzipien eingegrenzt. Zum Einen ist der Zeuge vor Gericht grundsätzlich zur Aussage und auch zur wahrheitsgemäßen, d.h. inhaltlich objektiv korrekten, Aussage verpflichtet. Hierüber ist er gem. § 57 S. 1 StPO vor der Vernehmung zu belehren. Im Falle einer Zuwiderhandlung droht, je nachdem ob es sich um einen vereidigten oder einen unvereidigten Zeugen handelt, eine Strafbarkeit gem. § 153 I bzw. § 154 I StGB, welche in jedem Falle als Mindeststrafe Freiheitsstrafe vorsehen.

Die somit im Falle der Zuwiderhandlung strafbewehrte Wahrheitspflicht dient einzig der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege. Denn nur im Falle wahrheitsgemäßer Angaben ist eine den Anforderungen der Objektivität und Gerechtigkeit entsprechende Urteilsfindung möglich. Ziel des Strafprozesses ist nämlich nicht die Überführung des Angeklagten, sondern ein objektiver Ausspruch über Schuld, Strafe oder sonstige strafrechtliche Maßnahmen sowie die Schaffung von Rechtsfrieden auf dem Wege des gewissenhaften Strebens nach Gerechtigkeit. Dieses Ziel manifestiert wohl am deutlichsten die Abkehr des modernen Strafprozessrechts von den Prinzipien des Inquisitionsprozesses. Als Korrelat wird dem Zeugen im Strafprozess seitens des Gesetzgebers gem. § 52 I StPO ein Zeugnisverweigerungsrecht sowie gem. § 55 I StPO ein Aussageverweigerungsrecht zugebilligt.

III.         Funktion und Umfang des § 52 I StPO

Das Recht zur Zeugnisverweigerung des § 52 I StPO soll den Zeugen davor bewahren, in die unerträgliche Situation zu geraten, der geforderten Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage nur dadurch entsprechen zu können, dass er einen Angehörigen Beschuldigten belastet. Insoweit wird eine Erschwerung der Wahrheitsfindung seitens des Gerichts gesetzgeberisch in Kauf genommen. Das Recht des § 52 I StPO gilt vollumfänglich und berechtigt somit zur vollständigen, nicht nur partiellen Aussageverweigerung. Lediglich die Angaben zur Person sind hiervon ausgenommen.

IV. Funktion und Umfang des § 55 StPO

Ein Aussageverweigerungsrecht des Zeugen besteht nach dem Gesetzeswortlaut des § 55 I StPO in den Fällen, in denen der Zeuge im Falle der Beantwortung der an ihn im Rahmen der Beweisaufnahme gerichteten Fragen sich selbst oder einen Angehörigen i. S. des § 52 I StPO in die Gefahr der Strafverfolgung bringen würde. Einfacher ausgedrückt soll niemand im Rahmen seiner zeugenschaftlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung gezwungen sein, sich selbst oder einen Angehörigen, der nicht Beschuldigter ist, zu belasten, nur um eine an ihn gerichtete Frage, welche den gegen den Angeklagten gerichteten Tatvorwurf betrifft, zu beantworten. § 55 StPO bildet im Bezug auf den Zeugen folglich das Äquivalent zu den dem Schutze des Angeklagten vor Selbstbezichtigung dienenden Vorschriften der §§ 136 I 2, 163 a IV 2, 243 IV 1 StPO, welche ihrerseits Ausfluss der als Mindestanforderung an jedes rechtsstaatliche Verfahren zu fordernden Pflicht zur Einhaltung des Nemo-tene­tur-Grundsatzes sind, wonach niemand gezwungen werden darf, gegen sich selbst auszusagen und letztlich als Werkzeug gegen sich selbst zu fungieren.

Obwohl § 55 StPO im Gegensatz zu § 52 I StPO rein semantisch nur ein partielles Verweigerungsrecht, bezüglich einer bestimmten Auskunft und nicht bezüglich der gesamten Aussage gewährt, kann der Zeuge bereits dann davon Gebrauch machen, wenn die schlichte Bejahung oder Verneinung einer Frage den Zeugen oder einen nicht beschuldigten Angehörigen der auch nur entfernt möglichen, lediglich mittelbaren Gefahr der Strafverfolgung aussetzt. Durch diese zu Recht sehr weite Auslegung des § 55 I StPO soll ausgeschlossen werden, dass der Zeuge durch den Gebrauch des Auskunftsverweigerungsrechts einen Verdachtsgrund gegen sich oder einen nicht beschuldigten Angehörigen schafft. Über die bekannte Mosaiktheorie des BGH erstarkt das partielle Verweigerungsrecht zu einem vollumfänglichen Recht.

1. Ausgestaltung der Belehrung

Die dargestellten Vorgaben müssen sich in der Folge auch in der Ausgestaltung der richterlichen Belehrung niederschlagen. Über die Art und Weise der Belehrung enthält die gesetzliche Regelung zunächst keinerlei Angaben. Einigkeit besteht hingegen darüber, dass sie „Sache des Vorsitzenden“ ist. Hieraus wird abgeleitet, dass es gänzlich in dessen Ermessen stünde, in welcher Weise die Belehrung zu erfolgen habe. Als erste Möglichkeit bietet sich hierbei zunächst ein lediglich abstrakter Hinweis auf ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO an. Ist ersichtlich, dass der Zeuge eine solche Belehrung nicht verstanden hat, kann er darüber aufgeklärt werden, zu welchen Fragen und Abläufen er die Antwort beziehungsweise die gesamte Aussage verweigern kann.

Eine praxisrelevante Problematik kann sich nun daraus ergeben, dass der Vorsitzende Richter den Zeugen auf unverständliche beziehungsweise tendenziöse Art und Weise belehrt.

Dies kann dergestalt erfolgen, dass er den Zeugen darauf hinweist, er könne die Auskunft verweigern, wenn er sich durch die Beantwortung der Fragen „selbst belasten müsste“.

Oder wenn er dem Zeugen durch Betonung, Gestik oder ähnliches zu verstehen gibt, man habe auszusagen „wenn man nichts zu verbergen habe“.

Diese der erforderlichen Neutralität beziehungsweise Objektivität der Belehrung zuwiderlaufenden Handlungsvarianten können aus Sicht des Zeugen und auch aus Sicht der Verteidigung allein so verstanden werden, dass eine Aussageverweigerung, sei es auch nur bezüglich einer bestimmten Frage, auf Seiten des Gerichts einen Verdachtsmoment begründet. Der Zeuge müsste folglich befürchten, sich durch eine Auskunftsverweigerung selbst zu inkriminieren und sieht sich dadurch unter Umständen zu einer Aussage genötigt, die er bei einer anders gestalteten Belehrung nicht getätigt hätte. Somit ergibt sich aus  Sicht des Zeugen ein Aussage- und auch Rechtfertigungsdruck, der ihn im Ergebnis zu einer (eventuell ihm günstigen) Aussage verleitet, die aus einem unzureichenden Verständnis bezüglich des Umfangs des ihm nach § 55 StPO gewährten Aussageverweigerungsrecht resultiert.

2. Möglichkeiten des Angeklagten

Verstöße gegen die Belehrungspflicht des § 55 StPO sind im Grundsatz aus Sicht des Angeklagten nicht revisibel, da § 55 StPO ausschließlich dem Schutz des Zeugen vor Selbstbelastung und nicht dem Schutz des Angeklagten dient.

In Betracht zu ziehen ist jedoch die Option des Angeklagten beziehungsweise des Verteidigers, seitens des Gerichts eine Klarstellung zu fordern.

Die Entscheidung darüber, ob die Belehrung entsprechend der Aufforderung abgeändert und wiederholt wird, trifft das Gericht gemäß § 238 II StPO im Beschlusswege, da es sich bei der Aufforderung um eine Beanstandung der Prozessleitung handelt.

Weist das Gericht den Antrag zurück, hat der Verteidiger zu prüfen, ob dem Angeklagten sodann nicht die Möglichkeit eines Antrags auf Ablehnung des aus seiner Sicht unrichtig beziehungsweise tendenziös belehrenden Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit gemäß § 24 I, III StPO zusteht.

Der grundsätzlich letztmögliche Zeitpunkt des Ablehnungsantrages ist gemäß § 25 I 1 StPO der Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über dessen persönliche Verhältnisse. Da sich die hier aufgezeigte Problematik der unrichtigen Zeugenbelehrung jedoch naturgemäß erst im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung stellt, namentlich im Rahmen der Zeugenvernehmung, ist ein Antrag auf Ablehnung auch nach dem oben genannten Zeitpunkt gemäß § 25 II 1 Nr. 2 StPO gleichwohl möglich. Der Gesetzgeber berücksichtigt hierbei den Fall, dass die das Ablehnungsgesuch begründenden Umstände erst nach dem in § 25 I 1 StPO genannten Zeitpunkt eintreten können. Im Rahmen der vorliegend untersuchten Möglichkeit des Verstoßes gegen § 55 StPO ist es folglich erforderlich, den Antrag auf Ablehnung gemäß § 25 II 1 Nr. 2 StPO unverzüglich nach Kenntnisnahme der etwaig rechtsfehlerhaften Belehrung des Richters beziehungsweise der Weigerung des Gerichts zur Klarstellung zu stellen. In diesem Zusammenhang besteht aus Sicht des Verteidigers die Notwendigkeit erhöhter Aufmerksamkeit, da bezüglich des Zeitpunktes der Kenntnisnahme auf die Person des Angeklagten abgestellt wird und nicht auf dessen Rechtsbeistand.

Der Verteidiger darf sich auf keinen Fall zeitlich vertrösten lassen, z. B. mit dem Hinweis „den Antrag können Sie gleich stellen (...)“ oder „warten Sie mal ab, das machen wir hier am Gericht immer so (...)“. Denn ein nicht unverzüglich gestellter Antrag kann in der Folge ohne inhaltliche Prüfung  gem. § 26 a I Nr. 1 StPO als verfristet abgelehnt werden. Fehlt es zusätzlich an der Protokollierung der Ablehnung, so ist diese im Verfahren der Rechtsbeschwerde oder Revision kaum angreifbar.

Der Ablehnungsgrund, die Besorgnis der Befangenheit, ist anzunehmen, wenn der erkennende Richter nicht die erforderliche Neutralität und Distanz des unbeteiligten Dritten, welche sowohl gegenüber dem rechtlich zu würdigenden Sachverhalt als auch gegenüber den daran Beteiligten zu wahren ist, aufweist. Dieses gleichsam objektive Kriterium wird in der Folge durch die lediglich erforderliche Besorgnis der Befangenheit versubjektiviert und sogleich relativiert, da sie bereits gegeben ist, soweit ein Verfahrensbeteiligter, beispielsweise der Angeklagte, bei „vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvereingenommenheit des Richters zu zweifeln“. Auf eine tatsächliche Parteilichkeit oder Unbefangenheit kommt es hingegen nicht an.

Ein solcher Ablehnungsgrund liegt zweifelsohne vor, wenn der Vorsitzende Richter gelegentlich der Belehrung gemäß § 55 II StPO auf einen Zeugen dahingehend einwirkt, dass dieser von seinem Zeugnisverweigerungsrecht keinen Gebrauch macht. Denn der Zeuge hat das Recht auf eine freie und unbefangene Entscheidung. Dieses Recht verbietet es zwar nicht, dass das Gericht den Zeugen im Rahmen der Belehrung auf zusätzliche Umstände hinweist, welche für den Zeugen im Hinblick auf seine für oder gegen eine Aussage votierende Entscheidung von Bedeutung sein könnten. Es gebietet aber gleichzeitig, dass das Gericht nicht dergestalt agiert, dass es eine Überführung des Angeklagten durch Zeugenaussagen, welche durch Täuschung oder unzulässigen Druck gewonnen wurden, herbeiführt.

In diesem Kontext ist zunächst anerkannt, dass eine Lenkung des Aussageverhaltens, wenn sie die Qualität einer Täuschung erreicht, den Anwendungsbereich des § 136a StPO eröffnet. Eine solche Täuschung ist dadurch charakterisiert, dass der Richter bei dem Zeugen den Irrtum erregt, er müsse aussagen oder dass sich der Zeuge, aufgrund einer bewusst unklar gehaltenen Belehrung über die Grenzen des Zeugnisverweigerungsrechts, von dem hohen Druck einer Strafandrohung zu einer Aussage veranlasst sieht. Obwohl gemäß dem Grundgedanken des § 55 StPO eine Berufung auf das Aussageverweigerungsrecht gerade nicht als Anzeichen für ein Verheimlichen einer etwaigen eigenen Strafbarkeit gewertet werden darf, führt die in vielen Fällen besonders eindringlich gehaltene Belehrung bezüglich des Faktums, dass auch das Weglassen gewisser Tatsachen im Rahmen der Zeugenaussage zu einer Strafbarkeit wegen Falschaussage führen kann, regelmäßig zu einem seitens des Zeugen empfundenen Aussagezwang.

3. Bewertung

Ob die vorliegend problematisierte Belehrung, wonach das Zeugnis verweigert werden kann, wenn der Zeuge „sich selbst belasten müsste“, die Qualität einer Täuschung in diesem Sinne erreicht, darf bezweifelt werden.

Die Frage, ob sich seitens des Richters bei einer derartigen Belehrung auf Hinweis der Verteidigung eine Pflicht zur Klarstellung ergibt, ist hingegen positiv zu beantworten. Es kann im Interesse des zur Zeugnisverweigerung Berechtigten und auch im Interesse der Wahrheitsfindung schlechterdings nicht hingenommen werden, dass die Art und Weise der Belehrung alleinig dem richterlichen Ermessen unterliegt. Es muss vielmehr gefordert werden, dass seitens des Belehrungspflichtigen die Grenzen des Aussageverweigerungsrechts möglichst weit gezogen werden. Einzig auf diese Weise kann dem Telos des § 55 StPO, namentlich dem Schutz des Zeugen vor einer auch nur entfernt möglichen, mittelbaren Gefahr der Strafverfolgung genügt werden.

Nimmt ein Richter, indem er in unzulässiger Weise auf eine Zeugenaussage hinwirkt, mittelbar auch auf die Beweiswürdigung Einfluss, bedingt die damit einhergehende Außenwirkung fraglos den Eindruck des voreingenommenen Handelns beziehungsweise der bereits vorhandenen Schuldüberzeugung auf Seiten des Gerichts. 

Lehnt es der Belehrungspflichtige auch nach Antrag der Verteidigung ab, klarstellende Ausführungen zu machen, ist es somit angezeigt, einen Befangenheitsantrag unverzüglich zu prüfen und letztlich auch zu stellen. Eine Befangenheit des Belehrungspflichtigen soll zwar nur dann anzunehmen sein, wenn die Belehrung abwegig erscheint oder den Anschein der Willkür erweckt. Liegt es jedoch nahe, dass das Gericht den jeweiligen Zeugen gezielt zu einer für den Angeklagten nachteiligen Aussage zu drängen versucht, kann gemäß einer jüngeren Entscheidung des Bundesgerichtshofs die Schwelle der Abwegigkeit beziehungsweise Willkür erreicht sein. Eine solche Willkür ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich aus der Belehrungspraxis des Vorsitzenden Richters eine „Fehlbelehrungsroutine“ abzeichnet.

Die Ansprache des oben zitierten Richters: „Sagen Sie jetzt die Wahrheit oder ich lasse Sie einsperren“ lässt im Übrigen so eindeutig eine Voreingenommenheit erkennen, dass die Nichtablehnung des Richters ein nicht akzeptables Unterlassen der Verteidigung darstellen würde.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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