Rechtsanwalt Dr. jur. Ingo E. Fromm, Rechtsberater in Koblenz
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Donnerstag, 19.08.2021

Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort bei wegrollenden Einkaufswagen



von
Dr. jur. Ingo E. Fromm
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht

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Die Rechtsprechung hat sich jüngst erneut dazu geäußert, ob der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142 des Strafgesetzbuchs (StGB) erfüllt ist, wenn jemand mit einem Einkaufswagen zum Beispiel auf einem Parkplatz eines Supermarkts ein anderes Fahrzeug beschädigt und den „Unfallort“ verlässt. Dies ist vom Amtsgericht Dortmund (NZV 2021, 334) interessanterweise abgelehnt werden. Eine Strafbarkeit scheide aus, da kein „Unfall im Straßenverkehr“ vorliege. Denn der Tatbestand des § 142 StGB erstrecke sich nur auf Gefahren im Zusammenhang mit dem Fortbewegungsvorgang von Fahrzeugen. Auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters lud der Fahrzeugführer seine Einkäufe aus einem Einkaufswagen in den Kofferraum seines Pkw. Plötzlich rollte der von ihm genutzte Einkaufswagen los und geriet dabei gegen das Fahrzeugheck eines gegenüber geparkten PKW. Der Pkw wurde erheblich beschädigt, was der Einkaufswagennutzer auch bemerkte. Das Amtsgericht lehnte den Erlass des von der Staatsanwaltschaft Dortmund am 24.07.2020 beantragten Strafbefehls ab.

Umstrittene Rechtsprechung

Mehrere Jahre zuvor musste sich bereits die Justiz in Düsseldorf mit einem gleichgelagerten Fall befassen. Die Rechtssache ging durch drei Instanzen. In einem Berufungsurteil vom 06.05.2011 hatte das Landgericht Düsseldorf (29 Ns 3/11) den Angeklagten aufgrund rechtlicher Erwägungen freigesprochen. Der Angeklagte war erstinstanzlich noch wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen und einem Fahrverbot für die Dauer von 3 Monaten verurteilt worden. Der Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort setze einen Unfall im Straßenverkehr voraus. Dies ist jedes plötzliche Ereignis, das mit dem Straßenverkehr und seinen Gefahren ursächlich zusammenhängt. An einem solchen straßenverkehrsspezifischen Gefahrzusammenhang fehle es nach Auffassung des Gerichts in „Einkaufswagen“-Fällen, weil der Unfall nicht spezifisch Ausdruck jener Gefahren ist, die mit der Fortbewegung eines Fahrzeugs im Sinne der Straßenverkehrsordnung (StVO) verbunden sind. Das Fahrzeug ist nämlich abgestellt und bewegt sich nicht. In der Revisionsinstanz wurde der Angeklagte jedoch wiederum verurteilt (NStZ 2012, 326); das Oberlandesgericht meinte, es habe ein „verkehrstypisches Unfallrisiko“ vorgelegen. Trotz dieser bedenklich weiten Auslegung des Wortlauts hielt selbst das Oberlandesgericht ein Fahrverbot nach § 44 Abs. 1 StGB für unangemessen, weil das Unfallgeschehen keine Straftat sei, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs begangen wurde. Die Entscheidung des OLG endet mit den versöhnlichen Worten, dass eine Einstellung gemäß § 153a StPO in Erwägung zu ziehen sei.

Unfall eines Einkaufswagens gegen einen geparkten PKW

Unfall im Straßenverkehr mehrheitlich bejaht

Auch andere Gerichte außerhalb von NRW verurteilten in ähnlich gelagerten Fällen den Fahrzeugführer, so dass Vorsicht geboten ist. Da ein Unfall im Straßenverkehr vorliege, sei der Einkaufswagenbenutzer wartepflichtig (OLG Koblenz MDR 1993, 366; OLG Stuttgart VRS Bd. 47, 15). Dieser Auffassung nach macht sich auch eine Person strafbar, die auf Rollen bewegliche Mülltonnen an parkenden Fahrzeugen im öffentlichen Straßenraum vorbeischiebt, damit sie später zum Müllfahrzeug gebracht werden können (LG Berlin NZV 2007, 322).

Verunsicherung über die Rechtslage

Angesichts widersprüchlicher Urteile dürfte zu erwarten sein, dass vielen Einkaufswagenbenutzern die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun. Es kann nicht vom Laien erwartet werden, es besser zu wissen als Volljuristen und Richter, die in der Vergangenheit unterschiedlich entschieden haben. Vielen Einkaufswagenbenutzern ist gar nicht bewusst, dass sie sich unter Umständen strafrechtlich relevant verhalten. Dass ein Verkehrsunfall nicht unbedingt einen Unfall zwischen zwei Fahrzeugen voraussetzt, könnte der Laie noch wissen. Dass aber ein Unfall im Straßenverkehr sogar zwischen einem Einkaufswagen und einem abgeparkten Pkw ohne laufenden Motor vorliegen soll, darf nicht erwartet werden. Bei unklarer Rechtslage oder sich widersprechenden Gerichtsentscheidungen kann § 17 StGB zur Schuldlosigkeit seines Verhaltens führen, „wenn er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte“. In einem aktuellen Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz gelang es, das Verfahren wegen geringen Verschuldens zur Einstellung zu führen. Hier hatte starker Wind dazu geführt, dass ein Einkaufswagen ein anderes Auto beschädigte.

Im Zweifel sollte das Vorkommnis bei der Polizei gemeldet werden, einen Zettel hinter dem Scheibenwischer zu hinterlassen, genügt nicht.

Es sollte unbedingt die Hilfe eines verkehrsrechtlich spezialisierten Rechtsanwalts in Anspruch genommen werden

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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