Rechtsanwalt Markus Schmuck, Rechtsberater in Koblenz
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Dienstag, 13.09.2005

Untersuchungshaft - Ein Überblick



von
Markus Schmuck
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht

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I. Einleitung

Diese Abhandlung soll dem juristisch nicht vorgebildeten Leser einen ersten Einblick in den Sinn und die Struktur der Untersuchungshaft geben. Gesetzliche Grundlage der Untersuchungshaft - einer der wohl stärksten Eingriffsmöglichkeiten des Staates in die persönliche Freiheit des Bürgers - ist die Strafprozessordnung. Darüber hinaus sind in den Richtlinien für das Strafverfahren (RiStBV Rd. 46-60) einzelne Regelungen enthalten.

Zweck der Untersuchungshaft ist ausschließlich die Durchsetzung des Anspruchs der staatlichen Gemeinschaft auf vollständige Aufklärung der Tat und rasche Bestrafung des Täters. (Bundesverfassungsgericht NJW 1966, 243) Sie darf nur in begrenzten Ausnahmefällen angeordnet werden. Dabei ist stets das Interesse des Staates mit dem Freiheitsanspruch des noch als unschuldig zu geltenden Beschuldigten abzuwägen.

II. Richterliche Vorführung

Nimmt die Polizei nach selbständiger Prüfung oder nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft einen Beschuldigten fest (siehe auch § 127 StPO), und kommt zu dem Schluss, dass dieser nicht wieder auf freien Fuß gesetzt werden soll, so wird der Beschuldigte dem Haft- / Ermittlungsrichter vorgeführt. Diese Vorführung hat gemäß § 128 StPO unverzüglich, spätestens am Tage nach der Festnahme stattzufinden. In diesem Zusammenhang ist gerade im Stadium erster Ermittlungsversuche von Seiten der Polizei welche zu diesem Zeitpunkt über nur meist vage Ermittlungsergebnisse verfügt auf das Aussageverweigerungsrecht des Beschuldigten zu verweisen. Dieses aus dem deutschen Grundgesetz abzuleitende Recht versuchen Strafverfolgungsorgane häufig mit dem Mittel der informatorischen Befragung auszuhöhlen. Hierbei stellt z.B. die Polizei ohne Belehrung der anwesenden Personen die Art der Beteiligung des Einzelnen fest. Wird ein strafbares Verhalten angenommen, so können auch diese Erkenntnisse verwertet werden.

Hierzu beispielhaft ein Originalvermerk aus einer polizeilichen Ermittlungsakte wegen Trunkenheitsfahrt vom 26.05.2000:

(...) um 14.30 Uhr wurde der BMW auf einem Wanderparkplatz (...) angetroffen. (...) Etwa 75 Meter entfernt stellten PK L. und ich einen kräftigen Mann fest (...). Seine Atemluft roch deutlich nach Alkohol. (...) Informatorisch (Anmerkung: d.h. ohne Belehrung) fragte ich ihn, ob er schwere Probleme habe und sich deshalb betrunken habe. Er erwiderte, (...) das er mit dem BMW gefahren sei, wäre Mist gewesen (...).

Auf den verteidigungstaktischen Sinn der Aussageverweigerung soll zu einem späteren Zeitpunkt eingegangen werden. Zu erkennen ist jedoch auch für den juristischen Laien anhand dieses Beispielsfalles, dass der Nachweis der Trunkenheitsfahrt durch die vorschnelle und sinnlose Äußerung des Beschuldigten - ermöglicht, zumindest aber erheblich erleichtert wurde.

Nach Beendigung dieser Ermittlungen prüft der Richter anhand der zu den Akten gereichten Ermittlungsergebnisse (Zeugenaussagen usw.) und durch die Vernehmung des Beschuldigten zum Tatvorwurf die Voraussetzungen für eben den möglicherweise zu erlassenden Haftbefehl.

III. Haftbefehl

Ein Haftbefehl kann gegen den Beschuldigten erlassen werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht (§ 112 I StPO). Als dringend verdächtig ist ein Beschuldigter dann anzusehen, wenn die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass der Beschuldigte Täter oder Teilnehmer einer Straftat ist. Nach anderer Ansicht bedeutet dringender Tatverdacht, dass eine Tat nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens als fast bewiesen erscheinen muss (Kleinknecht/Meyer-Goßner § 112 Rd. 5).

Das Gesetz sieht folgende Haftgründe - hier im einzelnen verkürzt - vor:

Der Haftgrund der Flucht gemäß § 112 II Nr. 1 StPO ist anzunehmen, wenn der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält. Erläuterungen hierzu erübrigen sich.

Fluchtgefahr § 112 II Nr. 2 StPO besteht dann, wenn die Würdigung der Umstände des Falles es wahrscheinlicher macht, dass sich der Beschuldigte dem Strafverfahren entzieht, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Hierzu ist auf alle Umstände des Falles einzugehen; insbesondere die Art der Tat, die Persönlichkeit des Beschuldigten, seine Lebensverhältnisse sowie sein Vorleben. Die Annahme dieses am häufigsten vorkommenden Haftgrundes wird regional stark unterschiedlich begründet. Im allgemeinen kann die Straferwartung alleine Fluchtgefahr nicht begründen. Die Fluchtgefahr muss anhand bestimmter Tatsachen belegt sein. Mutmaßungen oder Spekulationen sollen nicht ausreichen. In diesem Zusammenhang spielt jedoch der angebliche Erfahrungssatz, dass die Neigung zur Flucht desto größer sei, je höher die zu erwartende Strafe eingeschätzt werde, eine nicht unerhebliche aber zweifelhafte Rolle. In der Praxis führt dies zu einer Art Akzessorietät des Haftgrundes nach der Formel:

Dringender Tatverdacht einer mit einer erheblichen Freiheitsstrafe bedrohten Tat = Erfahrungssatz einer Fluchtneigung = Fluchtgefahr.

Verdunklungsgefahr (§ 112 II Nr. 3) wird angenommen, wenn das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, dass durch bestimmte Handlungen auf sachliche oder persönliche Beweismittel eingewirkt und dadurch die Ermittlung der Wahrheit erschwert werden wird. Im einzelnen muss hinsichtlich der einzelnen Fallgruppen und Einzelfragen auf das Schrifttum und die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte verwiesen werden, da die Auslegung der Norm regional unterschiedlich stattfindet und einzelfallorientiert ist.

Präventiv-polizeilicher Natur ist der Haftgrund der Wiederholungsgefahr. Dieser ist dann gegeben, wenn der Beschuldigte verdächtig ist eine der Katalogtaten des § 112 a I Nr. 1 und 2 StPO (z.B. Vergewaltigung) begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begangen werden. Auch der Haftgrund der Wiederholungsgefahr muss aufgrund bestimmter Tatsachen belegt werden. Aufgrund der präventiv-polizeilichen Natur der Norm hat sie mit der Sicherung der Wahrheitsermittlung nichts mehr zu tun. Vielfach kann die Wiederholungsgefahr jedoch mit Erwägungen aus kriminologischer Sicht ausgeräumt werden.

Kommt der Richter nun nicht zu der Überzeugung, dass ein Haftbefehl zu erlassen ist, lehnt er den Antrag der Staatsanwaltschaft ab und ordnet die Freilassung des Beschuldigten an. Andernfalls erlässt er den Haftbefehl, veranlasst die Benachrichtigung von Angehörigen oder sonstigen Personen des Vertrauens und veranlasst die Überstellung des Beschuldigten in die nächstgelegene Untersuchungshaftanstalt.

IV. Haftverschonung

Der Haftrichter kann gleichzeitig mit dem Erlass des Haftbefehls oder auch später dessen Aussetzung beschließen. Eine Aussetzung des Vollzugs kommt in Betracht, wenn zwar der Erlass eines Haftbefehls z.B. wegen Fluchtgefahr geboten erscheint, aber weniger einschneidende Maßnahmen als der Vollzug der Untersuchungshaft geeignet erscheinen, die Fluchtgefahr auszuräumen.

Als solche milderen Maßnahmen kommen hier unter anderem die Anweisung einer Meldepflicht (z.B. zweimal wöchentliche Meldung bei der nächsten Polizeidienststelle), die Hinterlegung einer Kaution oder die Anweisung den Wohnsitz nicht zu verlassen in Betracht. Verletzt ein von Untersuchungshaft verschonter Beschuldigter die Auflagen, d.h. er kommt einer Auflage nicht nach oder trifft Anstalten zur Flucht, so kann der Haftbefehl jederzeit wieder in Vollzug gesetzt werden.

V. Überprüfung eines Haftbefehls

Hat der Untersuchungsgefangene keinen Verteidiger, findet nach dreimonatigem Vollzug der Untersuchungshaft eine Haftprüfung von Amts wegen gemäß § 117 V StPO statt. Diese Prüfung erfolgt in aller Regel im schriftlichen Verfahren.

Unabhängig von dem Vorhandensein eines Verteidigers findet spätestens nach 6 Monaten andauernder Untersuchungshaft eine weitere gesetzlich vorgeschriebene Haftprüfung bei einem Oberlandesgericht statt (§ 121 StPO). Hier vergewissert sich das Gericht, ob besondere Schwierigkeiten des Falles oder ein besonderer Umfang der Ermittlungen die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Auch diese Haftprüfung erfolgt im schriftlichen Verfahren.

Auf Antrag des Beschuldigten kann neben den gesetzlich vorgesehenen Haftprüfungen gemäß § 117 I StPO gerichtliche Haftprüfung beantragt werden. Wenn es ausdrücklich beantragt wird, findet dies in mündlicher Verhandlung statt. Sollte in diesem Termin der Haftrichter die Fortdauer der Untersuchungshaft beschließen, so ist ein erneuter Antrag auf Haftprüfung erst dann zulässig, wenn die Untersuchungshaft mindestens 3 Monate gedauert hat und seit der letzten mündlichen Verhandlung mindestens 2 Monate vergangen sind (§ 118 III StPO).

Gegen die Entscheidung des Richters kann der Beschuldigte eine sogenannte Haftbeschwerde einlegen. Hier beschließt eine Kammer des Landgericht über die Gesetzmäßigkeit der vom Haftrichter getroffenen Entscheidung. Gegen diesen Beschluss ist wiederum die weitere Beschwerde zulässig. Über diese entscheidet in der Regel das Oberlandesgericht.

Die Fragen wann, in welcher Ausgestaltung und wie oft gegen einen einmal erlassenen Haftbefehl vorgegangen werden soll und kann, gehören zu den taktischen Erwägungen der Strafverteidigung. Entscheidungen dieser Art gehören zu den schwierigeren rechtlichen und verteidigungstaktischen Fragen der Strafverteidigung und sollten einem erfahrenen Strafverteidiger vorbehalten bleiben.

VI. Bewertung

Die einschneidende Wirkung einer Festnahme sollte nicht unterschätzt werden. Der eben noch freie Bürger sieht sich dem staatlichen Gewaltmonopol gegenüberstehen. Für ihn streitet zwar noch - bis zur rechtskräftigen Verurteilung - die in Art. 6 II EMRK begründete Unschuldsvermutung, aber das Sonderopfer für die Allgemeinheit - der Wegfall der persönlichen Bewegungsfreiheit - ist erst einmal hinzunehmen. Mit der Anordnung der Untersuchungshaft droht eine monate- wenn nicht in Ausnahmefällen sogar jahrelange Untersuchungshaft mit den damit einhergehenden fatalen Folgen des Existenzverlustes, Ansehensverlustes im sozialen Umfeld, Verlust des Arbeitsplatzes und häufig auch Zerrüttung von Partnerschaft, Ehe und Familienleben.

Schon Dahs sagte in seinem Handbuch des Strafverteidigers,

dass die Untersuchungshaft das trostloseste Kapitel der Strafverteidigung ist. In keinem anderen Verfahrensbereich treten die Allmacht des Staates und die Ohnmacht der Verteidigung so deutlich hervor.

und damit zum Ausdruck brachte, was als Gefühlsregung in jedem Strafverteidiger vorgeht. Dabei darf nicht verkannt werden, dass wohl in der Mehrzahl der Fälle die Untersuchungshaft wegen Flucht- oder Verdunklungsgefahr gerechtfertigt ist. Bei einer erheblichen Anzahl von Verfahren muss jedoch an der Notwendigkeit bzw. Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzuges gezweifelt werden.

Dies gilt insbesondere bei Betrachtung der durchaus üblichen formularhaften Begründungsfloskeln in richterlichen Haftbefehlen oder Beschwerdeentscheidungen wie z.B.: der Beschuldigte hat mit einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Es besteht somit der Haftgrund der Fluchtgefahr; oder: die Beschwerde wird aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen; oder:nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen ist der Beschuldigte der ihm vorgeworfenen Taten dringend verdächtig. Dies zeigt auch, dass insbesondere eine Einlassung, d.h. eine auf den strafrechtlichen Vorwurf bezogene Erklärung über die Umstände der Tat, in der Regel nicht dazu geeignet sein wird, den Beschuldigten wirkungsvoll gegen den Erlass eines Haftbefehls zu schützen. Vielmehr stellt gerade die Einlassung des Beschuldigten bei Strafverfolgungsorganen (Polizei, Staatsanwaltschaft oder Tatrichter) nicht selten ein unüberwindbares, kaum zu korrigierendes Hindernis effektiver Strafverteidigung dar.

Der mit der Untersuchungshaft verbundene psychisch und physisch empfundene Druck wird auch nach den übereinstimmenden Erfahrungen nahezu aller Strafverteidiger von den Strafverfolgungsbehörden gerade nicht selten bewusst eingesetzt, um den Beschuldigten zur Aussage zu bewegen und so dazu institutionalisiert, um das Schweigerecht des Beschuldigten auszuhöhlen.

Bis auf wenige, wohl nur durch den erfahrenen Strafverteidiger zu erkennenden Situationen, kann dem Beschuldigten im Strafverfahren, insbesondere wenn der Erlass eines Haftbefehls im Raum steht oder ein solcher bereits erlassen ist, nur empfohlen werden, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen und nur nach Rücksprache mit dem Verteidiger seines Vertrauens eine Aussage zur Sache zu machen.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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