Rechtsanwalt Dr. jur. Ingo E. Fromm, Rechtsberater in Koblenz
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Dienstag, 13.11.2007

Chancen der Strafverteidigung in Europa



von
Dr. jur. Ingo E. Fromm
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht

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Durch das zusammenwachsende Europa eröffnen sich speziell für den Strafverteidiger Möglichkeiten zum überörtlichen grenzüberschreitenden Rechtsbeistand. Im strafrechtlichen Bereich erweitert insbesondere der europäische Haftbefehl das Tätigkeitsfeld des Rechtsanwalts. Innerhalb der gesamten Europäischen Union wird die anwaltliche Berufsfreiheit gewährleistet. Grundsätzlich darf kein europäischer Rechtsanwalt, der in der Europäischen Union auftritt, von einem Gericht, gleich welcher Instanz, zurückgewiesen werden. Dies wird durch den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) gewährleistet, hier durch die so genannten Grundfreiheiten:

Die Dienstleistungsfreiheit gem. Art. 59, 60 EGV stellt sicher, dass Anwälte sich ins europäische Ausland zur Strafverteidigung begeben dürfen („aktive Dienstleistungsfreiheit“), Mandanten ihn aufsuchen können („passive Dienstleistungsfreiheit“), und der Mandant mit seinem Anwalt vom jeweiligen Aufenthaltsort aus korrespondieren darf.

Die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 52 EGV stellt sicher, dass Anwälte unter den gleichen Bedingungen wie Inländer eine Tätigkeit selbstständig und auf Dauer in einem Mitgliedstaat ausüben dürfen. Dies umfasst die Gründung und Ausübung der selbstständigen Erwerbstätigkeit sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen. Hierbei kann es sich um Haupt- und Zweigniederlassungen handeln. Durch die Reisefreiheit wird die grenzenlose Tätigkeit des Anwalts abgerundet.

a.) Die Richtlinien des Rates zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs für Rechtsanwälte

Um die europäischen Liberalisierung der grenzüberschreitenden anwaltlichen Tätigkeit zu realisieren, wurde die „Richtlinie des Rates zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs für Rechtsanwälte“ 1989 erlassen. Hierin verpflichteten sich die Mitgliedsländer, Rechtsanwälte gegenseitig anzuerkennen. Dies bedeutet, dass kein europäischer Rechtsanwalt weitere Zulassungs- und Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen muss. Also sind auch Eignungstests für ausländische Anwälte nicht mehr zulässig. Allerdings muss ein ausländischer Rechtsanwalt die im Herkunftsland gültige Berufsbezeichnung für die ersten drei Jahre seiner Tätigkeit tragen (zum Beispiel: „Advocat“). Die Richtlinie wurde mehrfach geändert und ist heute ein verlässliches Regelwerk. Sie erleichtert die grenzüberschreitende Rechtsanwaltstätigkeit ernorm.

b.) Das deutsche EuRAG

Das Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) regelt die Details der Berufsausübung niedergelassener europäischer Anwälte in Deutschland. Ein europäischer Rechtsanwalt muss sich zunächst bei der zuständigen Rechtsanwaltskammer registrieren lassen. Er muss die im Herkunftsland gültige Berufsbezeichnung für die ersten drei Jahre seiner Tätigkeit tragen. Selbstverständlich muss der ausländische Anwalt eine Berufshaftpflichtversicherung abschließen oder jedenfalls eine Versicherung im Herkunftsland nachweisen, die der inländischen gleichwertig ist. Nach 3 Jahren darf der ausländische Anwalt die Berufsbezeichnung des Herkunftslandes ablegen, wenn er über 3 Jahre regelmäßig im deutschen Recht tätig war. Nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Sachen „Vlassopolou“ gelten diese Voraussetzungen auch als erfüllt bei einer Dissertation im deutschen Recht. Eine Eignungsprüfung findet nicht mehr statt. Letztere wurde vom EuGH für europarechtswidrig erklärt.

c. Faktische Grenzen der Strafverteidigung im EU-Ausland

Trotz der durch den EG-Vertrag gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit für Anwälte existieren noch immer diverse Schranken der Strafverteidigung im EU-Ausland. Hier ist zunächst das Sprachproblem zu nennen sowie mangelnde Kenntnisse im ausländischen Recht. Europäische Rechtsanwaltsvereinigungen plädieren daher für eine standesrechtliche Pflicht zur Ablehnung eines Mandanten bei den fehlenden Kenntnissen der entsprechenden ausländischen Rechtsordnung (Art. 3.1.3. CCBE).

Diesem Vorschlag ist uneingeschränkt zuzustimmen, so soll der europäische Strafverteidiger kein „Renner“ im Haftpflichtprozess werden. Um eine Qualitätseinbuße zu vermeiden, sollte ein örtlich spezialisierter Kollege hinzugezogen werden. Letzteres ist jedoch nur bei ausreichender finanzieller Liquidität der Mandantschaft denkbar.

Daneben verweigert die Justiz in der Mitgliedstaaten Rechtsanwälte aus Nachbarländern regelmäßig die Gleichstellung. Bei vielen Gerichten hat sich die oben genannte Entwicklung im EG-Recht noch nicht herumgesprochen. Das Auftreten eines Anwalts im Ausland gilt immer noch als exotisch. Einige Verwaltungen beharren immer noch auf Sprach- oder Eignungstests bzw. verlangen einen Korrespondenzanwalt vor Ort oder lehnen einen Anwalt aus einem anderen EU-Land mangels zulässiger Vertreterbefugnis ab. Hiergegen sollte systematisch im Wege der Beschwerde vorgegangen werden (Rechtsprechung zum Diskriminierungsverbot von Anwälten im EU-Ausland: unzulässigen Ablehnung als Verteidiger StraFo 1998, S. 161 f.; StraFo 1999, S. 89).

d. Neue Entwicklungen im Rahmen des „Europäischen Strafrechts“

aa.) Der Europäische Haftbefehl

Der Europäische Haftbefehl drückt, so steht es jedenfalls auf der offiziellen Website der Europäischen Kommission, das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedsländern aus, zumal die Entscheidungen ihrer Richter und Gerichte gegenseitig akzeptiert werden. Ganz so weit ging das Vertrauen aber nicht, berücksichtigt man, dass das Bundesverfassungsgericht das Europäische Haftbefehlsgesetz im Jahr 2005 noch für verfassungswidrig erklärt hatte. Zentraler Streitpunkt war die Auslieferung eigener Staatsangehöriger und damit eine Abkehr von Art. 16 GG. Die Startschwierigkeiten sind zwischenzeitlich weitest gehend behoben. Der dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegende Gedanke, gesuchte Verdächtige überall in der EU schnell und umkompliziert zu einem Strafverfahren an den Mitgliedstaat zu übergeben, in dem die zugrundeliegende Straftat begangen wurde, findet im Grundsatz seine Berechtigung. Das Recht der Freizügigkeit innerhalb Europas darf schließlich nicht fehl gedeutet werden in ein Recht zur Begehung von grenzüberschreitenden Straftaten oder Gewährung von Schlupflöchern für Kriminelle. Der Europäische Haftbefehl ist im Gegensatz zum sprachlichen Verständnis nur ein auf nationaler Haftgrundlage beruhendes Fahrdungsinstrument. Er gehört zwischenzeitlich zur ständigen Praxis im Strafverfahren und bietet ein interessantes Betätigungsfeld im In- oder Ausland. Den rechtlichen Rahmen stellt das Internationale Rechtshilfegesetz auf. Der vorläufig Festgenommene ist nach § 22 IRG unverzüglich, spätestens am Tag nach der Festnahme, dem Richter des nächsten Amtsgerichts vorzuführen. Wie jeder andere Beschuldigte hat er ein Schweigerecht und kann sich in jeder Lage des Verfahrens eines Rechtsanwalts bedienen. Bei Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage wird dem Beschuldigten ein Verfahrensbeistand bestellt (§ 40 IRG). Es handelt sich um das Pendant zur Pflichtverteidigung nach § 140 StPO. Das Verbot der Doppelbestrafung normiert § 83 IRG. Das Vorliegen von Auslieferungshindernissen prüft in Deutschland das zuständige Oberlandesgericht. Die Durchsetzung des Europäischen Haftbefehl mag als politischer Erfolg der EG-Organe zu verbuchen sein. Tatsächlich konnte er nach den bisherigen Erfahrungen die urspünglich bezweckte wesentliche Beschleunigung im Vergleich zu herkömmlichen Rechtshilfeverfahren nicht erreichen. Faktische Barrieren sind oft noch Sprachhindernisse oder ein eher untergeordnetes Interesse des ersuchten Staats.

bb.) « corpus juris Florence »

Neben der Notwendigkeit, sich als Anwalt mit der Straf- und Strafprozessordnung der Nachbarländer zu befassen, gibt es Bestrebungen, eine gemeinschaftsweite StPO festzulegen.

Zur Bekämpfung von Betrügereien zulasten der Finanzinteressen der EG verfasste eine Expertenkommission das „corpus juris Florence“. In dieses Regelwerk ist ein Kern europäischer Beschuldigtenrechte, ähnlich der EMRK, aufgenommen worden. Man diskutiert derzeit kontrovers eine Umsetzung dieses Werks sowie die passende Ermächtigungsgrundlage (richtig wohl: Art. 280 IV EGV). Die Mitgliedstaaten stehen dem jedoch distanziert gegenüber, da sie befürchten, Kompetenzen im Bereich des Strafrechts an die EG abgeben zu müssen. Dies wird traditionell abgelehnt, da das Strafrecht nahezu die einzige Materie geblieben ist, die vor der europäischen Integration verschont geblieben ist und die Mitgliedstaaten nicht die letzte „Kompetenz-Bastion“ verlieren möchten.

cc.) Strafverfolgungsbehörden auf EU-Ebene

Das Bündel der Strafverfolgungsbehörden auf EU-Ebene wird ständig ausgebaut und erweitert: Neben Europol existiert seit 1999 das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (bekannt unter seinem französischen Akronym „OLAF“-Offlice de la Lutte Anti-Fraude). Das Amt ist eine unabhängige, mit Untersuchungsbefugnissen ausgestattete Dienststelle zur Bekämpfung von Betrügereien zulasten der Finanzinteressen der EG. Bestrebungen, das Amt auf andere Kriminalitätsfelder auszubauen, scheiterten bei den Vertragsverhandlungen von Nizza am Widerstand der EG-Mitgliedsstaaten, die nichts von ihrer nationalen Souveränität einbüßen wollten. Stattdessen ist in der Fassung der EG-Vertrages von Nizza in Art. 29 EUV „Eurojust“ geschaffen worden. Eurojust soll den Austausch von Informationen unter den Mitgliedstaaten erleichtern. Die genauen Kompetenzen von Eurojust stehen jedoch noch immer nicht abschließend fest.

dd.) Strafrechtliche Kompetenzen der EG

Grundsätzlich besitzt die EG keine eigene Strafrechtskompetenz. Davon abzugrenzen ist die Zuständigkeit der Organe der EG, die innerstaatlichen Rechtsordnungen zu harmonisieren. Der Europäische Gerichtshof entschied in einer viel beachteten Entscheidung vom 13. 9. 2005 - C-176/03 (Kommission/Rat) - , dass die Europäische Gemeinschaft befugt ist, die Strafvorschriften der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Umweltkriminalität zu harmonisieren, soweit dies erforderlich ist. Die Vorbehalte der Mitgliedstaaten gegenüber strafrechtlichen Kompetenzen der EG hat der Gerichtshof hier unbeachtet gelassen. Man bezeichnet dies als „Harmonisierungskompetenz“ der EG per Richtlinie. Der Europäische Gerichtshof hat seine Rechtsprechung im Urteil vom 13.09.2005 - C-176/03 in der Entscheidung vom 23.10.07 (C-440/05) bestätigt. Er erklärte im zuletzt genannten Urteil den Rahmenbeschlusses 2005/667/JI des Rates vom 12. 7. 2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe für nichtig. Die bedeutenden EuGH-Entscheidungen von 2005 und 2007 sind auf andere Politikbereiche übertragbar. Wie rasant die Integration im Europäischen Strafrecht vorangeschritten ist, ist daran erkennbar, dass selbst die Angleichung von innerstaatlichen strafrechtlichen Vorschriften vor einiger Zeit ein Tabuthema war. Derartige Entwicklungen widerlegen nicht nur die verbreitete Fehlan­nahme einer „Immunität“ oder „Blindheit“ des nationalen Strafrechts gegen­über europäischen Einflüssen, sondern bringen bereits einen immensen Verlust an nationaler Souveränität mit sich. Vereinzelt wird in den Organen der EG vertreten, dass bei vorhandener Erforderlichkeit auch der Erlass von strafrechtlichen Vorschriften

ee.) Die Notwendigkeit zur Angleichung der mitgliedstaatlichen Strafgesetzbücher

In den einzelnen Strafgesetzbüchern und Strafprozessordnungen der Mitgliedstaaten existieren enorme Unterschiede. Diese betreffen das materielle Strafrecht, zum Beispiel Unterschiede im Bereich Täterschaft/Teilnahme bzw. Einheitstäterschaft, Strafbarkeit des Versuchs, Strafbarkeit juristischer Personen, Strafbarkeit des unechten Unterlassens, Geltungsbereich des Strafrechts, als auch die Sanktionshöhe. Letztere variiert in den Mitgliedstaaten von Geldstrafen bis zu 6-jährigen Freiheitsstrafen. Auch im strafprozessualen Bereich differieren die Rechtsordnungen sehr. Erhebliche Systemunterschiede bestehen zum Beispiel im Bereich Legalitäts-/Opportunitätsprinzip, sowie Zuständigkeiten der Gerichte im Zwischenverfahren usw.

Schon aufgrund der genannten Unterschiede existiert zunehmend ein Kriminalitätstourismus. Einige Marktteilnehmer analysieren die Systemunterscheide im Strafrecht und lassen sich hierdurch in ihrer Standortwahl beeinflussen. Dies macht die Schaffung eines europäischen Strafgesetzbuches sowie Strafprozessordnung zwingend notwendig.

ff.) Neuerungen im Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 07.10.07

Bedeutende strafrechtliche Neuerungen enthält auch der Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 07.10.07. Gemäß Artikel 69 f EU sollen das Europäische Parlament und der Rat nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren durch Richtlinien Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in Bereichen besonders schwerer Kriminalität festlegen können, die aufgrund der Art oder der Auswirkungen der Straftaten oder aufgrund einer besonderen Notwendigkeit, sie von gemeinsamen Grundlagen ausgehend zu bekämpfen, eine grenzüberschreitende Dimension haben. Als derartige Kriminalitätsbereiche werden aufgezählt: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität.

Art. 69 e EU bestimmt darüber hinaus, dass das Europäische Parlament und der Rat durch Richtlinien Mindestvorschriften festlegen können. Die Mindestharmonisierung soll sich auf (a) die Zulässigkeit von Beweismitteln auf gegenseitiger Basis zwischen den Mitgliedstaaten beziehen, (b) die Rechte des Einzelnen im Strafverfahren, (c) die Rechte der Opfer von Straftaten sowie (d) sonstige spezifische Aspekte des Strafverfahrens, die zuvor vom Rat durch einen Beschluss bestimmt worden sind. Mit den nationalen Souveränitätsinteressen wird nach den jeweiligen Absätzen 3 der Artikel 69 e, f EU äußerst behutsam umgegangen. Es handelt sich nur um eine Mindestharmonisierung, die mit keinem wesentlichen Kompetenzverlust der Mitgliedstaaten verbunden ist.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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