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Die finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaft werden jährlich durch vorsätzliche Subventionsbetrügereien in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro geschädigt. Dies ergibt sich aus dem aktuellen Jahresbericht der Kommission der EG zur Betrugsbekämpfung von Juli 2007.[1] Die statistische Auswertung der Betrügereien und Unregelmäßigkeiten ergab im Agrarsektor sogar eine steigende Tendenz mit 3.249 gemeldeten Fällen. Dies entspricht einer Zunahme um 3 %. Der im Jahre 2006 betroffene Gesamtbetrag bei den Agrarausgaben von 87 Mio. EUR ist jedoch um 15 % zurückgegangen. Experten sind sich weit gehend einig, dass das wahre Ausmaß der Schäden wesentlich höher liegt. Die für das Dunkelfeld naturgemäß auf Vermutungen basierenden Schätzungen gehen von einem Schadensumfang von mindestens 10-20 % des Gemeinschaftsbudgets aus.[2] Dies entspräche in absoluten Zahlen einer Aufzehrung der EG-Kassen durch Betrügereien und Unregelmäßigkeiten um jährlich ca. 6-12 Mrd. Euro. Trotz der erheblich voneinander abweichenden Schätzungen des tatsächlichen Ausmaßes sind die Zahlen jedenfalls hoch genug,
m die Feststellung treffen zu können, dass Betrügereien im Agrarbereich traditionell in Europa Hochkonjunktur haben.
Das EU-Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften gehörte zu den Hauptrechtsinstrumenten, die darauf abzielten, eine Verbesserung des Schutzes des Haushalts der EG zu erreichen. Bei dem Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (im Folgenden: EU-Übereinkommen) vom 26. Juli 1995[3] und seinen drei Protokollen handelt es sich um Rechtsakte der Betrugsbekämpfung im Rahmen der sog. "dritten Säule".[4] Die völkerrechtlich ausgestaltete polizeiliche und justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) weist bzw. wies unbeschadet von gemeinschaftlichen Betrugsbekämpfungsmaßnahmen ebenfalls eine Kompetenzgrundlage für den Schutz der Kassen der EG auf.
Die drei Zusatzprotokolle, auf die man sich erst jeweils ein Jahr nach Erlass des ersten "Betrugs-Übereinkommens" einigen konnte, sollten die einheitliche Strafbarkeit der Bestechung und Bestechlichkeit von Beamten der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten garantieren bzw. Geldwäsche unter Strafe stellen[5] und die Verantwortlichkeit von juristischen Personen vorsehen.[6] Das dritte Protokoll aufgrund von Art. K.3 des Vertrages über die Europäische Union betrifft die Auslegung des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften im Wege der Vorabentscheidung[7].
Ziel des EU-Übereinkommens war es, die Unterzeichnerstaaten zu verpflichten, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die in Artikel 1 Abs. 1 des Übereinkommens normierte einheitliche europäische Betrugsdefinition in ihr innerstaatliches Recht umzusetzen.[8] Das Übereinkommen der EU über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften und sein Erstes Protokoll sind am 17. Oktober 2002 in Kraft getreten.
Das EU-Übereinkommen vom 26. Juli 1995 konnte den erhofften wesentlichen Fortschritt nicht bringen, was vor allem mit der Problematik der zögerlichen Ratifikation durch die Mitgliedstaaten zu erklären ist. Das Übereinkommen wurde erst sehr zögerlich von den Unterzeichnerstaaten ratifiziert, und zwar zunächst nur von Deutschland am 24. November 1998, Finnland (18.12.1998), Österreich (21.05.1999) und Schweden (10.06.1999), später auch von weiteren, aber aktuell
noch nicht von allen Mitgliedstaaten.[9] Der entscheidende Nachteil von Maßnahmen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften durch Rechtsakte im Rahmen des EU-Vertrages bestand nämlich darin, dass die Übereinkommen des EU-Vertrages erst in innerstaatliches Recht umgesetzt werden müssen. Die Konvention stellte für sieben Jahre nicht mehr als "tote Buchstaben"[10] dar, wobei die einzelstaatlichen Betrugstatbestände weiter unharmonisiert blieben.[11]
Hinzu kamen Schwierigkeiten bei der Kompromissfindung im Rat, die dazu führten, dass Rechtsakte nur auf dem "kleinsten gemeinsamen Nenner"[12] zu Stande kamen,[13] so dass letztlich verschärft durch das Einstimmigkeitserfordernis[14] in Art. K.4 Abs. 3, UA 1 EUV[15] nur eine "stumpfe Waffe"[16] bleibt. Daneben hat der Rechtsakt der "dritten Säule" bewiesen, dass infolge des Erfordernisses der Umsetzung von Übereinkommen minimale Verbesserungen mehrere Jahre dauern.[17] Dies wirft die Gemeinschaft beim Kampf gegen Betrügereien zum Nachteil ihrer Interessen wiederum empfindlich zurück. Nicht zuletzt war vor allem die Feststellung desillusionierend, dass selbst bei sofortiger Ratifizierung und Inkrafttreten eines Übereinkommens selbiges nicht in der Lage wäre, einen für nötig gehaltenen gleichwertigen Schutz der finanziellen Interessen sicherzustellen.[18] Schließlich würde eine beträchtliche Inkompatibilität in wesentlichen Bereichen der Rechtssysteme der Mitgliedsländer verbleiben (vgl. ausführlicher unter 4.). [19]
Neben den praktischen Umsetzungsschwierigkeiten darf nicht unerwähnt bleiben, dass das EU-Übereinkommen -
wie sich im Nachhinein aus den Urteilen des EuGH vom 13.09.05 ( C-176/03 ) und 23.10.2007 (C-440/05) ergibt - gar nicht auf Grundlage der "dritten Säule" hätte ergehen dürfen.
Da Maßnahmen zur Betrugsbekämpfung sowohl aufgrund von primärrechtlichen Normen des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft als auch auf Grundlage von Ermächtigungsgrundlagen des EU-Vertrages gestützt werden können, die den strafrechtlichen Schutz der EG-Finanzinteressen beinhalten, bezeichnet man den Schutz der Gemeinschaftsfinanzen zwar als "typische säulenübergreifende Materie". Dass strafrechtliche Kompetenzen der Europäischen Union (Art. 29, 30, 31 e EU) vorbehalten seien, was in der Lit. und den Mitgliedstaaten teilweise vertreten wurde,[20] wurde schon zuvor vehement von der Lit. bestritten.[21] Diese Formulierung in dem in Art. 29 EU (ehem. Art. K. 1 EUV) normierten Passus, dass die Ziele des Titels VI " unbeschadet der Befugnisse der Europäischen Gemeinschaft " verfolgt würden, deutet nach der vorzugswürdigen zuletzt genannten Ansicht gerade darauf hin, dass weiter gehende Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft durch die PJZS nicht ausgeschlossen werden sollten.[22] Insofern ist auch das Bestehen einer Kompetenz über die Materie des Strafrechts innerhalb der gemeinschaftlichen Bestimmungen des Primärrechts möglich. Die in dieser Unberührtheitsklausel zum Ausdruck kommende strikte Trennung der Rechtsmassen von EU- und EG-Vertrag bliebe schließlich auch gewahrt, wenn man aufgrund des konkurrierenden Zuständigkeitsbereichs für die Finanzinteressen eigene strafrechtliche gemeinschaftliche Rechtsakte für zulässig erachtete. Beschränken ließe sich eine dahin gehende Befugnis der Europäischen Gemeinschaft jedenfalls weder durch das Unionsrecht insgesamt, noch durch den VI. Titel des EU-Vertrages. [23] Berücksichtigt man ergänzend, dass der Sinn und Zweck des Art. 29 EU darin besteht, Versuche des Unionsgesetzgebers zu unterbinden, den EG-Vertrag zu steuern oder zu verändern[24], so kommt der Unbeschadetheitsklausel eher eine kompetenzbegrenzende Wirkung für die " Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen " selbst zu. Demnach kann man nur zu dem umgekehrten Schluss gelangen, dass letztendlich sogar das Gemeinschaftsrecht die Kompetenzen im Bereich der " polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen " beschränkt. Die Annahme einer kompetenzbegrenzenden Wirkung der Bestimmungen im Rahmen des VI. Titels des Vertrages über die Europäische Union für die Materie eines gemeinschaftlichen Strafrechts liefe insofern gerade auf eine Verkehrung der eigentlichen Funktion des Art. 29 EU hinaus.
Diese Auffassung wurde durch den EuGH in den Urteilen vom 13.09.2005 - C-176/03 (Kommission/Rat) [25] und 23.10.07 - C-440/05 (Kommission/Rat), [26] in denen er sich grundlegend mit der Abgrenzung des Rechts der EU vom Recht der EG befasste, bestätigt.[27] In dieser Entscheidung führte das Gericht aus, dass ein Vorrang der "ersten Säule" bestehe, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Rechtsgrundlage für die Materie existiere. Umgekehrt formuliert ist ein Rechtsakt der "dritten Säule" in diesem Falle ausgeschlossen.
Zwar ging es im besagten Urteil inhaltlich nur um einen Rahmenbeschluss 2003/80/JI über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht[28], mit dem die EU koordiniert gegen die Besorgnis erregende Zunahme der Umweltkriminalität vorgehen wollte. Die Feststellungen des Gerichts können jedoch ohne weiteres auf die Frage der einschlägigen Rechtsgrundlage für das EU-Übereinkommen von 1995 übertragen werden, da die Problematik parallel gelagert war: Dogmatisch begründet der EuGH diese Kompetenzverteilung mit den Art. 47 und 29 EU (ehem. Art. K 1 EUV). Nach Artikel 47 EU lasse der Vertrag über die Europäische Union den EG-Vertrag unberührt. Dasselbe ergebe sich aus Artikel 29 Absatz 1 EU, der den Titel VI des EU-Vertrags einleitet. Der Gerichtshof habe darüber zu wachen, dass die Handlungen, von denen der Rat behauptet, sie fielen unter diesen Titel VI, nicht in die Zuständigkeiten übergreifen,
die die Bestimmungen des EG-Vertrags der Gemeinschaft zuweisen (vgl. Urteil vom 12. Mai 1998 in der Rechtssache C-170/ 96, Kommission/ Rat, Slg. 1998, I-2763, Randnr. 16). Nach den Ausführungen der EuGH war daher zu prüfen, ob die Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses 2003/80/JI die Zuständigkeit, über die die Gemeinschaft nach Artikel 175 EG verfügt, insoweit berühren, als sie, wie die Kommission vorgetragen hatte, auf der Grundlage dieser Bestimmung hätten erlassen werden können. Im Endeffekt bejahte der EuGH diese Frage und führte aus, dass der Hauptzweck der Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses 2003/80/JI im Schutz der Umwelt bestehe und dass diese Vorschriften wirksam auf der Grundlage des Artikels 175 EG hätten erlassen werden können.
Diese Rechtsprechung ist vom EuGH in seiner Entscheidung vom 23.10.2007 (Rs. C-440/05), bestätigt worden. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragte mit am 8. Dezember 2005 eingereichter Klage in Sachen C-440/05, den Rahmenbeschluss 2005/667/JI des Rates vom 12. Juli 2005 zur Verstärkung des strafrechtlichen Rahmens zur Bekämpfung der Verschmutzung durch Schiffe[29] für nichtig zu erklären. Die Kommission vertrat in der Klage die Auffassung, dass der Rahmenbeschluss 2005/667 nicht auf der richtigen Rechtsgrundlage erlassen worden sei und daher ein Verstoß gegen Art. 47 EG vorliege. Rechtsgrundlage bei Fragen im Zusammenhang mit der Verschmutzung durch Schiffe sei einzig Artikel 80 Absatz 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. Der EuGH gab damit der Kommission der EG Recht.[30] Der Gerichtshof erklärte den Rahmenbeschluss für nichtig. In der Tat fallen das Ziel und der Inhalt des Rahmenbeschlusses in die vom EG-Vertrag im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik vorgesehenen Zuständigkeiten. Da die Art. 2, 3 und 5 des Rahmenbeschlusses 2005/667 die Wirksamkeit der im Bereich der Sicherheit des Seeverkehrs erlassenen Rechtsnormen gewährleisten sollen, deren Missachtung schwerwiegende Folgen für die Umwelt haben kann, und zu diesem Zweck die Mitgliedstaaten verpflichten, bestimmte Verhaltensweisen strafrechtlich zu ahnden, haben diese Artikel im Wesentlichen die Verbesserung der Sicherheit des Seeverkehrs und den Umweltschutz zum Ziel und hätten wirksam auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 2 EG erlassen werden können.
Auch zur Zuständigkeitskonkurrenz von erster und dritter "Säule" hat d er Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 23.10.07 Stellung genommen und erwartungsgemäß wiederholt , dass ein Rechtsakt nicht auf Grundlage des EU-Vertrags gestützt werden darf, wenn hinsichtlich der geregelten Materie eine EG-Kompetenz besteht.
Entsprechendes hätte auch für das EU-Übereinkommen aus dem Jahre 1995 gelten müssen. Entscheidend war, dass es auch hier den Gesetzgebungsorganen der EG oblag, zunächst zu prüfen, ob hinsichtlich der geregelten Materie des Übereinkommens eine EG-Kompetenz bestand, die ein Vorgehen im Rahmen der EU ausschließt. Aus der Entstehungsgeschichte und den Erwägungsgründen des Übereinkommens von 1995 hätte sich ergeben, dass eine Materie geregelt werden sollte, die der Gemeinschaftskompetenz unterfällt.
Es darf daran erinnert werden, dass schon die Wahl der Rechtsgrundlage der EU-Übereinkommen unter den EG-Organen höchst umstritten war. Die Auswertung der Materialien zum "Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften" ergibt, dass in den Jahren 1994/95 heftige Diskussionen zwischen den EG-Organen geführt wurden, ob ein Rechtsakt der ersten oder der dritten "Säule" für die Sicherstellung einer einheitlichen Strafbarkeit von Betrügereien angemessen sei. [31] Das Europäische Parlament gehörte zu den Befürwortern einer Lösung über das Gemeinschaftsrecht. Es wollte den homogenen Betrugsbegriff in Form einer Richtlinie erlassen, wobei es kumulativ Art. 100a und 209 a EGV als adäquate Rechtsgrundlagen ansah.[32] Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften bekräftigte im Jahresbericht von 1995, dass durch die Wahl einer Ermächtigungsgrundlage des dritten Stützpfeilers für das "Übereinkommen zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften" nicht unbedingt gesagt sei, dass im EG-Vertrag keine passende Rechtsgrundlage zum Erlass strafrechtlicher Rechtsakte vorhanden sei.[33] Es sei nicht unmöglich, dass der erste Pfeiler - so wörtlich - "keine adäquate Lösung"[34] zum Schutz der EG-Finanzinteressen vor Betrügereien bereitstelle. Im Nachhinein hatte die Kommission übrigens ebenfalls darauf hingewiesen, dass auch das Gemeinschaftsrecht passende Ermächtigungsgrundlagen für strafrechtliche Rechtsakte enthalte. Demnach hatte sich hier die Erkenntnis durchgesetzt, dass das Strafrecht tangierende Vorschriften auch auf Grundlage des EG-Vertrages ergehen können. Letztendlich hätte unbedingt im Vorfeld eingehend untersucht werden müssen, ob eine strafrechtliche Harmonisierungs
kompetenz der Organe der EG besteht, zumal Art. K 1 EUV bestimmte, dass die Organe verpflichtet seien, die bestehenden Gemeinschaftskompetenzen auszunutzen, bevor der VI. Titel des EU-Vertrages herangezogen werde.[35] Erst wenn diese Frage ausdrücklich verneint worden wäre, hätte sie den Weg über den VI. Titel des Vertrages über die Europäische Union gehen dürfen, da nur in diesem Fall der von ihr aufgestellte Grundsatz der Verpflichtung zur Nutzung der Rechtsgrundlagen des Gemeinschaftsrechts nicht verletzt worden wäre.
Zwar gab es 1995 noch keine eigene Ermächtigungsgrundlage zum Schutz der Finanzinteressen der EG, zumal die Vorgängernorm des Art. 280 EGV, Art. 209a EGV, nicht als Ermächtigungsnorm heranzuziehen war.[36] Dies bedeutete jedoch nicht, dass Gesetzgebungsinitiativen der Europäischen Gemeinschaft zum Schutz ihrer finanziellen Interessen zum Scheitern verurteilt waren und damit eine Gemeinschaftskompetenz über diese Materie ausschied. Die Rechtsakte zum Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft vor Betrügereien und Unregelmäßigkeiten wurden stets auf andere Vorschriften außerhalb der Finanzvorschriften des EG-Vertrages gestützt. Soweit man sich für ein Vorgehen gegen betrügerische Machenschaften auf den Grundlagen der "ersten Säule" entscheiden konnte, wurde sowohl für die "VO (EG/Euratom) 2988/95"[37] als auch die "VO 2185/96"[38] Art. 235 EGV[39] als Kompetenzgrundlage gewählt. Die Urteile des Gerichtshofs vom 13.09.05 und 23.10.2007 haben mithin nachträglich eindeutig belegt, dass das EU-Übereinkommen auf der falschen Rechtsgrundlage ergangen ist.
Die Kommission hat in ihrer "Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat über die Folgen des Urteils des Gerichtshofs vom 13. September 2005 (Rs. C-176/03, Kommission gegen Rat)"[40]übrigens bereits die Folgeproblematik erkannt, dass zahlreiche Rahmenbeschlüsse mit strafrechtlichem Inhalt, die nicht durch den EuGH überprüft wurden, auf Grundlage einer falschen Ermächtigungsnorm erlassen wurden. Hierzu ist auch das EU-Übereinkommen von 1995 zu zählen. Die EG-Kommission hat te - soweit möglich - bereits eine rasche Berichtigung durch Einfügung der korrekten Rechtsgrundlagen angekündigt. Darüber hinaus hat sich die Kommission am 23. November 2005 entschlossen, den Gerichtshof mit einer Klage zur Nichtigerklärung des Rahmenbeschlusses 2005/667/JI des Rats vom 12. Juli 2005 zu befassen. Es handelt e sich um den einzigen Fall, in dem die Kommission wegen der Verfahrensfrist die Möglichkeit hatte, eine Nichtigkeitsklage zu erheben.
Die Ermächtigungsgrundlage des Art. 280 IV EG, die durch den Vertrag von Amsterdam eingefügt wurde, verbindet sich für viele mit der Hoffnung, auf Grundlage dieser Bestimmung das "Übereinkommen über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften" einschließlich seiner Zusatzprotokolle zu vergemeinschaften. [41] Dahin gehende Versuche wurden bereits unternommen.[42] Vor dem Hintergrund, dass die Mängel in den nationalen Rechtsordnungen kriminelle Machenschaften begünstigten, hatte die Kommission sämtliche Bestimmungen des Übereinkommens und der Zusatzprotokolle, die strafprozessualen Regelungen ausgenommen, in einen Richtlinienentwurf übernommen.[43] Der Rat übernahm diesen Vorschlag auch in einer überarbeiteten Version vom 16.10.2002[44] jedoch nicht.
Art. 280 IV 1 EG-Vertrag erlaubt es dem Rat nunmehr, zur Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes in den Mitgliedstaaten gemäß dem Verfahren des Artikels 251 nach Anhörung des Rechnungshofs die erforderlichen Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Betrügereien, die sich gegen die finanziellen Interessen der Gemeinschaft richten, zu beschließen. In Art. 280 IV 2 des EG-Vertrages heißt es sodann: " Die Anwendung des Strafrechts der Mitgliedstaaten und ihre Strafrechtspflege bleibt von diesen Maßnahmen unberührt. "[45] Nach
dem Wortlaut des Art. 280 IV EG wird den Organen der EG ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt, der es ihnen offenbar möglich macht, künftig bei bestehender Notwendigkeit den Erlass strafrechtlicher gemeinschaftlicher Rechtsakte, die mit einer gesellschaftlichen Missbilligung verbunden sind, zu begründen. Die Rechtssetzungsorgane der EG besitzen eine Einschätzungsprärogative, auf welchem Wege sie die zwei Ziele der Kompetenzgrundlage, den sowohl effektiven als auch gleichwertigen Schutz der finanziellen Interessen der EG, gewährleisten wollen.
Hiermit können jedoch keine weit reichenden Hoffnungen zum effektiven Schutz der Finanzinteressen der EG verbunden werden. Würden sich die Organe der Europäischen Gemeinschaft nach Einführung des Art. 280 EG nunmehr entschließen, Richtlinien zur Gewährleistung eines gleichwertigen strafrechtlichen Schutzes des Gemeinschaftshaushalts auf Grundlage dieser Norm zu erlassen und zu diesem Zwecke die Betrugsbekämpfungs-Übereinkommen der "dritten Säule" auf das Gemeinschaftsrecht überzuleiten, so wäre dies zugegebenermaßen ein gangbarer Weg, um den teilweise fehlenden politischen Willen der Mitgliedstaaten, die Rechtsangleichung auf dem Gebiet ihres eigenen Strafrechts zu fördern, zu bekämpfen. In diesem Falle wäre es nämlich immerhin möglich, die EG-Staaten zur Durchsetzung der Gemeinschaftsrechtsordnung durch Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 226 EG ff. dazu zu zwingen, die sekundärrechtlichen Richtlinien zur einheitlichen Strafbarkeit von EG-Betrügereien in ihre nationalen Gesetze zu transformieren. Der EU-Vertrag sieht für die PJZS im Vergleich zum EG-Vertrag kein Vertragsverletzungsverfahren im Sinne von Artikel 226 EG-Vertrag vor.
Die zögerliche Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Umsetzung des "Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaften" einschließlich seiner drei "Zusatzprotokolle" hat anschaulich bewiesen, dass sich die Begeisterung der Mitgliedstaaten zur Modifizierung ihrer nationalen Strafrechtsordnungen in Grenzen hält. Es wäre aber illusorisch, zu erwarten, dass die Mitgliedstaaten nun bei einer Handlungsform des Gemeinschaftsrechts, der Richtlinie, ihre Einstellung im Hinblick auf die Umgestaltung ihrer Strafgesetzbücher ändern würden. Die Hoffnung, dass die Mitgliedstaaten ihre Kooperationsbereitschaft bei Rückgriff auf die Handlungsform der ersten "Säule" wegen der Möglichkeit der Kommission zur Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren zum Zwecke der Disziplinierung der Mitgliedstaaten ändern könnten, muss jedoch realistisch betrachtet werden. In der Vergangenheit hat ein Vertragsverletzungsverfahren bei einer Weigerung der Staaten zur Transformierung von Richtlinien in nationales Recht für die Mitgliedstaaten wenig abschreckende Wirkung entfaltet.[46] Ferner sichert auch eine Verurteilung eines Staates noch nicht die Ausräumung der Vertragswidrigkeit.[47] Durch die in Art. 228 II UA 3 S. 2 EG[48] vorgesehenen finanziellen Sanktionen wie Pauschalbeträge sowie Zwangsgelder könnten die Mitgliedstaaten nunmehr zwar eher dazu gezwungen werden, das gemeinschaftsrechtswidrige Verhalten zu beenden, da finanzielle Konsequenzen drohen.[49] Derartige "Strafmaßnahmen" der Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten können jedoch erst im Zuge eines sog. "Zweitverfahrens" festgesetzt werden. Es handelt sich hier um ein sehr langwieriges und schwerfälliges Verfahren.[50] Des weiteren erscheint es sehr zweifelhaft, ob durch den "Druck" einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof die Sensibilität der Mitgliedstaaten gegenüber dem Schutz der Finanzinteressen der EG erhöht werden kann und dadurch die Betrugsbekämpfung ernst genommen wird. Erfahrungen lehren, dass dies nicht der Fall sein wird. Zu Recht wird in der Literatur darauf aufmerksam gemacht, dass die Mithilfe der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts eher im "Konsens- und Kompromissweg"[51] als durch Sanktionen sichergestellt werden kann.
Die sich am fehlenden Willen zur Umsetzung von Rechtsakten zur Betrugsbekämpfung widerspiegelnde mangelnde Unterstützung der Mitgliedstaaten, die sich auch im Rahmen der " dritten Säule " ihrer großen Verantwortung lang nicht bewusst geworden sind,[52] ist jedoch nur ein Problem des effektiven Schutzes der Gemeinschaftsfinanzen. Selbst wenn man aber das Gelingen der Versuche, das EU-Übereinkommen der "dritten Säule" auf das Gemeinschaftsrecht überzuleiten, unterstellen würde, bliebe ein wesentliches grundsätzlicheres Hindernis beim strafrechtlichen Schutz des Gesamthaushalts der EG bestehen: Punktuelle rechtsharmonisierende Maßnahmen könnten bei realistischer Betrachtung nicht die uneinheitliche Bestrafung von Betrügern verhindern, da die Strafbarkeit einer Person immer noch von allgemeinen Regeln und den Strafverfahrensrechten, die sich höchst unterschiedlich gestalten, mit beeinflusst wird.[53] Zum anderen gerät das Ziel einer gleichmäßigen Sanktionierung dadurch in Gefahr, dass die EG-Staaten bei
einem hinreichenden Umsetzungsspielraum selbst entscheiden können, wie sie der Richtlinie nachkommen.[54] Schließlich sind Richtlinien nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels für die Mitgliedstaaten verbindlich (Art. 249 Abs. 3 EG).
Die im Jahre 1995 in das EU-Übereinkommen gesetzten großen Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: Zunächst konnte der Rechtsakt der polizeilichen und justitiellen Zusammenarbeit in Strafsachen zum Schutz der Finanzinteressen der EG durch die zögerliche Ratifikation lang keine Wirksamkeit entfalten. Eine effektive Bekämpfung von Betrug sowie Wirtschafts- und Finanzkriminalität lässt auf sich warten, so dass Fortschritte in weite Ferne gerückt sind, was angesichts des Vermögensschadens, der der Gemeinschaft dadurch entsteht, inakzeptabel ist. Zudem steht nach den Urteilen des EuGH vom 13.09.05 und 23.10.2007, welche auf die Finanzinteressen der EG transformiert werden können,[55] fest, dass das EU-Übereinkommen gar nicht auf Grundlage der intergouvernementalen Zusammenarbeit des EU-Vertrages hätte ergehen dürfen, da die Gemeinschaftskompetenzen zum Schutz des Haushalts der EG vorrangig anwendbar sind bzw. waren. Dies zeigt, dass die "Dritte Säule" arg gebeutelt und bis auf Weiteres auf strafrechtlichem Gebiet entscheidend geschwächt ist . Eine Vergemeinschaftung des Rechtsakts könnte über Art. 280 IV EGV erfolgen. Harmonisierungsbestrebungen sind jedoch kein Allheilmittel zur effektiven Betrugsbekämpfung, man denke nur an die ebenfalls problematische und zeitintensive Umsetzung einer Richtlinie und die oft fehlende Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten können dauerhaft durch ihre Strafgesetzbücher den Schutz der Finanzinteressen der EG nicht effektiv gewährleisten. Insgesamt muss insofern auch die Wahl der Rechtsform der Richtlinie zur punktuellen Angleichung der einzelstaatlichen Strafvorschriften gegen EG-Betrüger als völlig unzureichend beschrieben werden. Es darf nicht noch weitere Zeit verloren gehen: Will die Europäische Gemeinschaft infolge des enormen Schädigungsausmaßes nicht weiter an Glaubwürdigkeit verlieren, muss der EG-Haushalt - endlich - effektiv geschützt werden. Um Herr der Lage zu werden und die hohe kriminelle Anziehungskraft dieses Bereichs zu beenden, müssen aus Abschreckungsgründen auch kriminalstrafrechtliche Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Der jährlich durch Betrügereien und Unregelmäßigkeiten zulasten der finanziellen Interessen der Gemeinschaften verursachte Schaden ist schließlich immens, wie der Jahresbericht 2006 der Kommission der EG zur Betrugsbekämpfung aktuell belegt hat.[56] Dieser Argumentation folgend enthielt der "Entwurf eines Vertrags zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 07.10.07", der der Regierungskonferenz übermittelt wurde, erstmals für den Schutz der Finanzinteressen der EG eine supranationale Strafrechtskompetenz. H inter der scheinbar unauffälligen Formulierung zu Art. 280 EG "In Absatz 4 …(wird) der letzte Satz gestrichen" verbirgt sich künftig eine eigene bereichsspezifische Strafgewalt der EG.[57] Die einstige Unberührtheitsklausel in Art. 280 IV 2 EG, die teilweise als Zusicherung einer Monopolstellung über das Kriminalstrafrecht an die Mitgliedstaaten verstanden wurde, taucht auch in der Neufassung des ursprünglichen Art. 280 IV EG, Art. 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) in der Fassung des Vertrages von Lissabon, nicht mehr auf. Der Lissabonner Vertrag hätte also im Fall seiner Ratifizierung[58] erhebliche Konsequenzen für die Effizienz des Schutzes des Haushalts der EG vor Betrügereien. Abzuwarten bleibt, ob die EG künftig von der ihr verliehenen originären strafrechtlichen Kompetenz Gebrauch machen wird. Die Diskussion im europäischen Strafrecht wird mithin künftig davon bestimmt sein, ob die Statuierung effektiver, unmittelbar anwendbarer strafrechtlicher Vorschriften im EG-Verordnungswege kompetenzgemäß ist.[59]
Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.