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Donnerstag, 19.10.2017

Verhältnis der Normen des Pflegezeitgesetzes zum Gesetz zur Familienpflegezeit und § 616 BGB bei Erkrankung und Pflegebedürftigkeit von nahen Angehörigen



von
Horst-Walter Bodenbach
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

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I. Einleitung


Sowohl das Pflegezeitgesetz, als auch das Familienpflegezeitgesetz verfolgen das Ziel, die Vereinbarkeit von Familie und häuslicher Pflege zu fördern, um dem demographischem Wandel in der Gesellschaft begegnen zu können.[1]

Beide Gesetzen haben zudem Neuerungen zu verzeichnen, welche es notwendig erscheinen lassen, das Verhältnis beider Gesetze und auch den Zusammenhang zu § 616 BGB zu untersuchen.

II. Begriff der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 14 SGB XI


Pflegebedürftig iSd PflegeZG sind Personen, die die Voraussetzungen nach §§ 14, 15 SGB XI erfüllen. Für die Eröffnung des Anwendungsbereiches des § 2 PflegeZG reicht auch eine voraussichtliche Erfüllung aus, § 7 IV PflegeZG.[2]

Nach der Legaldefinition in § 14 I SGB XI sind pflegebedürftig solche Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder ihrer Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen.

Durch diese Definition hat der Gesetzgeber ab Januar 2017 deutliche Maßstäbe gesetzt, unter denen eine Pflegebedürftigkeit angenommen werden kann.

Einstufungen auf der Grundlage anderer Gesetze sind nicht zu übertragen und lassen keine konkreten Rückschlüsse auf eine Pflegebedürftigkeit iSd SGB XI zu.[3]

In der Neufassung lässt sich aus den §§ 14, 15 SGB XI iVm den Anlagen 1 und 2 ein eigenständiges Punktesystem ableiten, anhand dessen dann eine Einteilung in fünf Pflegegrade erfolgt. § 14 II SGB XI gilt hierbei für erwachsene Pflegebedürftige. Im Folgenden werden Punkte verteilt und anhand dessen bestimmt, welche Leistungen bezogen werden können.[4]

III. Verhältnis zu § 616 I BGB


§ 2 III PflegeZG normiert eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung der Vergütung während einer kurzzeitigen Arbeitsverhinderung, welche maximal 10 Tage andauert, nur dann, wenn eine Vereinbarung zur Weiterzahlung besteht oder sich dies aus gesetzlichen Regelungen ergibt. Im PflegeZG selbst sind jedoch keine Vergütungsansprüche geregelt.[5]

Die Verweisung auf andere gesetzliche Regelungen hat die Gestalt einer Rechtsgrundverweisung.  Für den Beschäftigten kommt insbesondere § 616 I BGB in Betracht. Für die Bejahung einer Vergütungspflicht müssen daher die Voraussetzungen des § 616 I BGB vorliegen.

Der Arbeitnehmer verliert seinen Zahlungsanspruch nach dieser Norm nicht dadurch, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert ist.

In Frage steht aufgrund der Formulierung, ob dazu auch die Betreuung eines pflegebedürftigen Angehörigen fällt. Anerkannt ist die Pflege naher Angehöriger.[6]

Der Angehörigenbegriff im Sinne des Pflegezeitgesetzes (§ 7 III PflegeZG), entspricht hierbei nicht dem Angehörigenbegriff im Sinne des § 616 I BGB.

§ 7 III PflegeZG nennt ausdrücklich die Fälle, in welchen die Angehörigeneigenschaft bejaht wird.

Nach der Rechtsprechung zu § 616 I BGB sind nahe Angehörige nur zu pflegende Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Kinder, Geschwister oder Eltern.[7] Es sind also wesentlich weniger Fälle erfasst, als in der umfassenden Aufzählung in § 7 III PflegeZG.

Der Charakter des § 616 I BGB als Ausnahme zu dem Grundsatz: Ohne Arbeit kein Lohn, spricht dafür, dass die Rechtsprechung auch in Zukunft den Begriff des Angehörigen im Pflegezeitgesetz nicht übertragen wird. Zudem müsste es sich bei der Arbeitsverhinderung um eine verhältnismäßig unerhebliche Zeit handeln, § 616 I BGB. Bei der Pflege von Kindern ist anerkannt, dass es sich um weniger als 10 Tage handeln muss, es gilt hier ein Richtwert von ungefähr 5 Tagen.[8] Im Falle der Überschreitung des Zeitraumes kann es zu einem rückwirkenden Entfall des Entgeltfortzahlungsanspruches nach § 616 I BGB kommen.[9]

Sollte die Pflege nach § 2 PflegeZG länger als 5 Tage dauern so besteht mangels Vorliegen der Voraussetzungen des § 616 I BGB auch kein Vergütungsanspruch.[10]

Wenn der Anspruchsberechtigte in diesem Fall seinen vollen Freistellungsanspruch geltend macht, verliert er den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 616 BGB vollständig.[11]

Zudem besteht nach ständiger Rechtsprechung die Möglichkeit der Abbedingung des § 616 I BGB, sowohl individualvertraglich, als auch kollektivvertraglich. Dieser Abbedingung könnte § 8 PflegeZG entgegenstehen, welcher ein Abweichungsverbot zu Ungunsten des Beschäftigten normiert. § 8 PflegeZG gilt jedoch nur für die Abweichung von Normen des PflegeZG und kann nicht auf § 616 I BGB angewendet werden.

Es ist festzustellen, dass es wegen der unzureichenden Regelungen in Bezug auf die Vergütung bei Inanspruchnahme der kurzzeitigen Arbeitsverhinderung, zu unterschiedlichen Lösungen in der Praxis kommt. Teilweise wird eine Vergütung weiterhin bezahlt, obwohl gar keine Verpflichtung mehr besteht, in anderen Fällen wird von Beginn an überhaupt nicht vergütet.[12]

Im Fall der Abbedingung von § 616 I BGB im Arbeitsvertrag, kann nur noch auf die Norm des § 44 a SGB XI zurückgegriffen werden (Pflegeunterstützungsgeld).[13] Ein Anspruch auf Pflegeunterstützungsgeld besteht nur dann, wenn kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber eingreift (BT-Drucks. 18/3124, 47).[14]

IV. Verhältnis zwischen den Normen des Pflegezeitgesetzes und des Familienpflegezeitgesetzes


Früher war im Familienpflegezeitgesetz kein Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit vorgesehen. Seit der Neufassung (23.12.2014) ist ein solcher ausdrücklich normiert.[15]

Bei einer Gesetzesreform, welche zum 01.01.2015 wirksam wurde, wurde das PflegeZG zudem um zwei weitere neue Freistellungstatbestände erweitert. Seitdem können Beschäftigte eine Freistellung auch zur Betreuung von minderjährigen, pflegebedürftigen nahen Angehörigen (Minderjährigenbetreuung) sowie zur Sterbebegleitung unheilbar kranker naher Angehöriger in der letzten Lebensphase verlangen, § 3 V und VI PflegeZG.[16]

Der persönliche Anwendungsbereich beider Gesetze ist aufgrund des Verweises in § 2 III FPfZG identisch. Auch bestehen beide Ansprüche von Beginn des Arbeitsverhältnisses an. Es existiert keine gesetzlich vorgeschriebene Wartezeit.[17]

Der Anspruch aus dem Pflegezeitgesetz besteht nach § 4 I 1 PflegeZG für einen Zeitraum bis zu 6 Monaten. Daneben besteht ein Anspruch aus Familienpflegezeit für bis zu 24 Monate, § 2 I FPfZG. Die zulässige Gesamtdauer bei Kombination von Pflegezeit und Familienpflegezeit beträgt 24 Monate. Diese Höchstdauer ist auf einen bestimmten pflegebedürftigen Angehörigen beschränkt. Für den Fall, dass ein anderer Angehöriger pflegebedürftig wird, kann sich auch nach einer Zeit von 24 Monaten unmittelbar daran die Pflege des anderen Angehörigen anschließen.[18]

Wenn die Ankündigung, ob Pflegezeit oder Familienpflegezeit erfolgt, nicht eindeutig ist und die Voraussetzungen für beide Ansprüche gegeben sind, so ist nach der Zweifelsregelung des § 3 III 3-6 PflegeZG im Zweifel von der Ausübung von Pflegezeit auszugehen. Sollen gleichzeitig Pflegezeit- und Familienpflegezeitrechte geltend gemacht werden, so müssen längere Ankündigungsfristen eingehalten werden.

In § 3 III S.4 PflegeZG ist normiert, dass immer dann, wenn sich die Familienpflegezeit oder die Freistellung nach § 2 V FPfZG an die Pflegezeit nach § 3 I PflegeZG anschließt, auch eine Unterbrechung möglich ist. Die Frist zur Ankündigung beträgt in diesem Fall drei Monate nach § 3 III 5 PflegeZG.

Im umgekehrten Fall, in dem der Beschäftigte nach einer Familienpflegezeit oder einer Freistellung Pflegezeit beanspruchen will, muss dies nach § 3 VI PflegeZG spätestens 8 Wochen vorher angekündigt werden.[19]

Die Familienpflegezeit muss zudem ohne Unterbrechungen in Anspruch genommen werden und darf eine Arbeitszeitverringerung von 15 Stunden nicht unterschreiten.[20]

Die Pflegezeit kann nur gegenüber einem Arbeitgeber, welcher mindestens 16 Beschäftigte beschäftigt, beansprucht werden, § 3 I 2 PflegeZG. Der Anspruch auf Familienpflegezeit stellt noch höhere Ansprüche und verlangt nach § 2 I 4 FPfZG mindestens 26 Beschäftigte.[21]

Auch die Kombination einer Minderjährigenbetreuung nach § 3 V PflegeZG mit einer Familienpflegezeit iSV § 2 I FPfZG sowie mit einer Minderjährigenbetreuung iSv § 2 V FPfZG ist zulässig.[22]

Ein zusätzlich bestehender Anspruch bei der Pflege von erkrankten Kindern ist § 45 SGB V. Hiernach haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn es nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, dass sie zur Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege ihres erkrankten und versicherten Kindes der Arbeit fernbleiben, eine andere in ihrem Haushalt lebende Person das Kind nicht beaufsichtigen, betreuen oder pflegen kann und das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder behindert und auf Hilfe angewiesen ist.

Dieser Anspruch kann vertraglich nicht abbedungen werden, § 45 III SGB V.

 

[1] Begründung RegierungsE BR-Drucksache 718/07; Grundmann: Das Pflegezeitgesetz in GuP 2013, 100.

[2] Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, Pflegezeit, Rn. 4.

[3] BeckOK SozR/Pfitzner SGB XI § 14 Rn. 9-10.

[4] BeckOK SozR/Pfitzner SGB XI § 14 Rn. 11-16.

[5] BR-Drucksache 718/2/07.

[6] Preis, Nehring: Das Pflegezeitgesetz in NZA 2008, 729.

[7] BAG, 20.7.1977 - 5 AZR 325/76, AP Nr. 47 zu § 616 BGB; BAG, 19.4.1978 - 5 AZR 834/76; weitere Nachweise in: Grundmann: Das Pflegezeitgesetz in GuP 2013, 100.

[8] BAG, 19.4.1978, - 5 AZR 834/76, AP Nr. 48 zu § 616 BGB.

[9] Grundmann: Das Pflegezeitgesetz in GuP 2013, 100.

[10] Grundmann: Das Pflegezeitgesetz in GuP 2013, 100.

[11] Feichtinger/Malkmus, Entgeltfortzahlungsrecht, BGB § 616 Rn. 69.

[12] Grundmann: Das Pflegezeitgesetz in GuP 2013, 100.

[13] ErfK/Preis BGB § 616, Rn. 8-9.

[14] Grobys/Panzer-Heemeier, StichwortKommentar Arbeitsrecht, Pflegezeit Rn. 11.

[15] Küttner, Personalbuch, 24. Auflage 2017, Rn. 44-45.

[16] Grobys/Panzer-Heemeier, Stichwort Kommentar Arbeitsrecht, Pflegezeit Rn. 1.

[17] Küttner, Personalbuch, 12. Familienpflegezeit, Rn. 44-45; Schaub, Arbeitsrecht- Handbuch, Linck, 17. Auflage 2017, Rn. 66.

[18] MAH ArbR, Teil F. Urlaub, §28 Mutterschaftsurlaub, Elternzeit, Pflege- und Familienpflegezeit, Rn.70.

[19] Nomos- BR/ Böhm PflegeZG/ Annett Böhm PflegeZG §3 Rn.22.

[20] Schaub/ Koch ArbR A-Z, Familienpflegezeit.

[21] Schaub, Arbeitsrecht- Handbuch, Linck, 17. Auflage 2017, Rn. 66.

[22] NK-ArbR/Stefan Müller PflegeZG § 3 Rn. 61-66.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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