Rechtsanwalt Dr. jur. Ingo E. Fromm, Rechtsberater in Koblenz
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Sonntag, 01.06.2014

Bußgeldverfahren nach Verkehrsunfällen im Straßenverkehr



von
Dr. jur. Ingo E. Fromm
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht

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I. Einleitung


Eine nicht unerhebliche Anzahl von Ordnungswidrigkeitenverfahren entfällt auf Verkehrsunfälle mit Personen- und/oder Sachschäden im Straßenverkehr. Die hohe bußgeldrechtliche Relevanz wird an der Gesamtzahl von 2 376 346 polizeilich erfasster Straßenverkehrsunfälle im Jahr 2012 deutlich.[1]Während die Unfälle zum einen von den Kfz-Haftpflichtversicherungen zivilrechtlich reguliert werden müssen und oftmals vor den Zivilgerichten landen, kann das Verhalten des von der Polizei bzw. Bußgeldstelle als verantwortlich ausgemachten Verkehrsteilnehmers zudem bußgeldbewehrt sein. Auch bußgeldrechtlich muss demnach über die Unfallschuld vor dem zuständigen Amtsgericht ggf. gesondert verhandelt werden. Das Kapitel untersucht, welche Schnittstellen zwischen dem Zivilverfahren (Unfallregulierung) und dem Ordnungswidrigkeitenverfahren bestehen können und zeigt auf, dass bei der Verteidigung in bußgeldrechtlichen Verfahren nach Verkehrsunfällen bestimmte Besonderheiten zu beachten sind. Im Schwerpunkt sollen die wichtigsten Verteidigungslinien vorgestellt werden und Wege aufgezeigt werden, das Verfahren zur Einstellung zu bringen oder die Geldbuße abzumildern. Darüber hinaus werden die besonders praxisrelevanten Probleme bei der Verteidigung gegen angeblich verschuldete Unfälle besprochen und die wichtigsten Ansatzpunkte für eine erfolgreiche Tätigkeit in der 2. Instanz dargestellt. Zum Abschluss wird untersucht, wie und in welche Höhe die anwaltliche Tätigkeit gebührenrechtlich abgerechnet werden kann.

II. Exemplarische Verfehlungen von Kraftfahrzeugführern


Bußgeldrechtlich relevante Fahrfehler befinden sich verstreut im gesamten Bußgeldkatalog. Ordnungswidrig verhält sich nach § 49 StVO in Verbindung mit § 24 StVG, wer infolge nicht angepasster Geschwindigkeit einen Verkehrsunfall verursacht (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 StVO). Gem. § 3 I StVO darf der Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie seinen persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen. Der Bußgeldkatalog sieht hierfür nach Nr. 8.1 eine Geldbuße in Höhe von 100 EUR vor (1 Punkt). Weitere klassische Verfehlungen von Kraftfahrzeugführern, die zu einem Verkehrsunfall führen können, sind Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot. Nach § 2 Abs. 2 StVO ist möglichst weit rechts zu fahren, nicht nur bei Gegenverkehr, beim Überholtwerden, an Kuppen, in Kurven oder bei Unübersichtlichkeit. Nach 4.1 BKat werden Zuwiderhandlungen mit 80 EUR Geldbuße belegt (1 Punkt). Kommt es zum Unfall, da der Betroffene abgebogen ist, ohne ein entgegenkommendes Fahrzeug durchfahren zu lassen, wird nach Nr. 40 BKat ein Bußgeld von 70,00 EUR verhängt. Nach § 9 Abs. 3 StVO muss der Fahrzeugführer entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen, wenn er abbiegen will. Überholt der Verkehrsteilnehmer bei unklarer Verkehrslage, riskiert er bei einem Verkehrsunfall sogar ein Fahrverbot von einem Monat (Nr. 19.1.2 BKat; 300 EUR Geldbuße, 2 Punkte). Das Überholen ist gem. § 5 Abs. 3 StVO unzulässig bei unklarer Verkehrslage. Auch Fehler beim Wechseln der Fahrspur sind bußgeldbewehrt. Nach § 7 Abs. 5 StVO darf in allen Fällen ein Fahrstreifen nur gewechselt werden, wenn eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Nr. 31.1 BKat sieht eine Geldbuße von 35 EUR vor. Auf Vorfahrtspflichtverletzungen stehen bei Gefährdung nach Nr. 34 BKat 100 EUR Geldbuße (1 Punkt). Nach § 8 StVO hat an Kreuzungen und Einmündungen die Vorfahrt, wer von rechts kommt. Ordnungswidrig verhält sich nach § 49 StVO, wer einen Verkehrsunfall in Folge des Nichteinhaltens des erforderlichen Abstands begangen hat. Mit Sachbeschädigung wird eine Geldbuße in Höhe von 35 EUR erhoben. Nach § 4 Abs. 1 StVO muss der Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter ihm gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird.

III. Verfahrensgang


1. Erforschen der Ordnungswidrigkeit


Die Bußgeldstelle und die Polizei haben den Sachverhalt, die den Verdacht einer Ordnungswidrigkeit begründet, zu ermitteln und aufzuklären, § 53 OWiG. Die Ermittlungen erschöpfen sich jedoch in der Praxis auf ein Mindestmaß, so erstattet die Polizei, die zum Unfall herbeigerufen wurde, einen Verkehrsunfallbericht und fertigt oftmals Fotos der beschädigten Fahrzeuge an und Skizzen vom Unfallort. Ferner schätzt sie den entstandenen Sachschaden. Des Weiteren werden Fragebögen an etwaige Zeugen versandt. Diese kommen nicht selten nicht in den Rücklauf, so dass die Rekonstruktion des Unfallgeschehens sich zusätzlich erschwert. Die Polizei vergibt in der Verkehrsunfallanzeige immer Ordnungsnummern (ON). Der von der Polizei als Verursacher eingestufte Verkehrsteilnehmer wird mittels des Anscheinsbeweises mit „ON 01“ festgelegt, der weitere Verkehrsteilnehmer mit „ON 02“. Die Bewertungen der den Unfall aufnehmenden Beamten hinsichtlich der Schuld- oder Verursacherfrage sind bußgeld- wie zivilrechtlich jedoch bedeutungslos. Die Bußgeldstellen geben in der Regel zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens kein unfallanalytisches Sachverständigengutachten in Auftrag. Hieran wird erkennbar, dass die Ursachen des Verkehrsunfalls oftmals nicht mit abschließender Gewissheit aufgeklärt werden können. Gleichwohl muss die Bußgeldstelle innerhalb der Verjährungsfrist von (nur) drei Monaten (§§ 24, 26 StVG) entscheiden, ob ein Bußgeld zu verhängen ist. Will der Betroffene den Fall bußgeldrechtlich und zivilrechtlich offen halten und hat er Bedenken gegen die bußgeldrechtliche Bewertung des Sachverhalts zu seinen Lasten, wird er Einspruch gegen den Bußgeldbescheid einlegen müssen.

2. Verfahrenshindernis bei Verwarnung, § 56 OWiG


Nicht selten bieten Polizeibeamte vor Ort unmittelbar nach dem Unfall einem Unfallbeteiligten eine Verwarnung an. Das Verwarnungsverfahren stellt ein dem Bußgeldverfahren vorgeschaltetes Sonderverfahren dar. Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann ein Verwarnungsgeld von fünf bis fünfundfünfzig Euro gem. § 56 I OWiG erhoben werden. Nach § 56 II 1 OWiG ist eine Verwarnung nur wirksam, wenn der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit ihr einverstanden ist und das Verwarnungsgeld entsprechend der Bestimmung der Verwaltungsbehörde entweder sofort entrichtet oder innerhalb einer Frist einzahlt. Die Bußgeldstelle darf nicht zu einem späteren Zeitpunkt die Verfehlung schwerer werten und ein erneutes Bußgeld erheben. Die Tat darf nicht mehr unter den tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten verfolgt werden, § 56 IV OWiG. Die durchaus gängige Barzahlung des Verwarnungsgeldes wird dem Betroffenen am Unfallort quittiert, hilfsweise ist der Polizeibeamte zu diesem Vorgang als Zeuge zu benennen.

3. Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung


Hat der Verkehrsunfall zu einer noch so geringen Verletzung eines Unfallbeteiligten geführt, so wird gegen den Betroffenen zunächst sogar ein Strafverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft stellt dieses Verfahren im Bagatellbereich im Ergebnis regelmäßig ein, sei es, weil an der Verfolgung der Tat kein öffentliches Interesse besteht (§§ 374, 376 StPO) oder ein nur geringfügiges Verschulden vorliegt (§ 153 StPO). Gem. § 43 OWiG gibt die Staatsanwaltschaft die Sache an die Verwaltungsbehörde (Bußgeldstelle) ab, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Tat als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden kann. Über den Verkehrsunfall muss auch in diesem Fall über den Umweg des Strafverfahrens wieder im Bußgeldverfahren entschieden werden.

IV. Verteidigungsansätze


1. Notwendigkeit von unfallanalytischen Sachverständigengutachten


Zwar wird im Termin vor dem Bußgeldrichter in der Regel der Unfallgegner als Zeuge geladen; die meisten Bußgeldrichter gehen jedoch zutreffend davon aus, dass Zeugen oft nicht in der Lage, das Geschehen objektiv und korrekt darzustellen. Oftmals handelt es sich nur um so genannte „Knallzeugen“, die durch das Kollisionsgeräusch erst auf das Geschehen aufmerksam geworden sind. Erfahrungsgemäß vermischen Zeugen Wahrnehmungen mit Schlussfolgerungen und haben damit gedanklich ein falsches Szenario gespeichert. Hinzu kommt, dass unfallbeteiligte Zeugen trotz ihrer Wahrheitspflicht oftmals parteiisch sind und ein (finanzielles) Interesse am Ausgang des Prozesses haben, zumal der Unfall oft noch nicht von der Kfz-Haftpflichtversicherung reguliert ist. Der unfallgegnerische Zeuge neigt in aller Regel dazu, ein eigenes Verschulden abzustreiten.

a.) Gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten


Bestreitet der Betroffene die (Mit-)Verantwortlichkeit am Verkehrsunfall, so beantragt die Verteidigung die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens beim zuständigen Amtsgericht. Häufig bringt der Sachverständige im mündlich oder schriftlich erstatteten Gutachten überraschende Tatsachen zu Tage und stellt fest, dass nicht der Betroffene, sondern der Unfallgegner die Kollision durch ein Fehlverhalten herbeigeführt hat oder jedenfalls ein überwiegendes Verschulden des Unfallgegners anzunehmen ist. Allein die Beantragung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens kann auch bereits zur Einstellung des Bußgeldverfahrens beitragen, da viele Bußgeldrichter dies im Verhältnis zum Tatvorwurf nicht für angemessen halten.

b.) Privatsachverständigengutachten


Weigert sich das Gericht zur Einholung eines Gutachtens, kann/sollte der Betroffene ein Privatgutachten zum Unfallhergang in Auftrag geben. Zwar muss der Betroffene im Bußgeld- und Strafrecht nicht seine Unschuld nachweisen, sondern die Strafverfolgungsorgane dem Betroffenen ein Verschulden. Die Zeichen stehen jedoch ohne Privatgutachten auf Verurteilung, wenn belastende Zeugenaussagen vorliegen und z.B. ein Gutachten durch das Gericht bereits eingeholt wurde.

Besteht eine Rechtsschutzversicherung,[2] so ist ein Privatsachverständigengutachten von der Deckungszusage umfasst. Sofern dieses für die Verteidigung im Ordnungswidrigkeitenverfahren erforderlich ist, hat der Betroffene kein finanzielles Risiko und der Rechtsschutzversicherer trägt - im Gegensatz zum Zivilverfahren (Unfallregulierung) - im Rahmen der Verteidigung gegen den Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit auch die Kosten eines Privatgutachtens. Aber auch sonst ist im Falle der Verfahrensförderung die Erstattungsfähigkeit eines Privatgutachters zu bejahen, wenn er vor Gericht vernommen wurde.[3] Das Gericht hat auf Antrag nach § 220 III StPO anzuordnen, dass diesem die gesetzliche Entschädigung aus der Staatskasse zu gewähren ist.

Angesichts der Bearbeitungszeit von mehreren Wochen durch den Sachverständigen ist es  notwendig, den Privatgutachter rechtzeitig zu beauftragen, damit es in einem Bußgeldverfahren noch berücksichtigt werden kann. Wenn zwar das Fahrzeug des Betroffenen noch zur Verfügung steht, ist es meist notwendig, auch die Unfallspuren beim unfallgegnerischen Pkw zu untersuchen, um den Verkehrsunfall zu rekonstruieren. Der Privatgutachter muss daher Lichtbilder zunächst bei den Versicherungen anfordern, wenn die Qualität der Aufnahmen der Polizei aus der Bußgeldakte nicht ausreicht. Spätestens zur bußgeldrechtlichen Verhandlung muss das Privatgutachten jedoch fertig gestellt sein. Kommt das Privatgutachten zu vorteilhaften Ergebnissen, sollte es rechtzeitig vor dem Gerichtstermin eingereicht werden. Womöglich erklärt sich der Bußgeldrichter gem. § 47 II OWiG aus Opportunitätsgründen zu einer Einstellung des Bußgeldverfahrens bereit. Stellt das Gericht die Ordnungswidrigkeit nicht ein und kommt es zu einem Termin, so sollte die Verteidigung auf einer Ladung des Privatgutachters bestehen, ansonsten wird es oftmals unbeachtet gelassen.

Weigert sich das Gericht, den Privatsachverständigen zu laden, etwa mit dem Argument, es sei bereits ein Gutachter gerichtlich bestellt worden, kommt die Verteidigung nicht umhin, über die Vorschriften des Selbstladungsverfahrens gem. §§ 220, 38 StPO und § 46 I OWiG vorzugehen.[4] Hierdurch kann die Ladung und Vernehmung des vom Betroffenen in Auftrag gegebenen Privatgutachters letztlich erzwungen werden.

2. Inaugenscheinnahme des Unfallorts


Die Entscheidung des Amtsgerichts kann ggf. auch durch die Einnahme eines richterlichen Augenscheins positiv beeinflusst werden. Die Verteidigung kann dazu Lichtbilder des Tatortes/verunfallten Fahrzeugs vorlegen oder eine Ortsbesichtigung beantragen. Hierdurch wird oft die von der Verteidigung angeführte Unübersichtlichkeit der Verkehrslage am Unfallort für einen nicht Ortskundigen bestätigt.

3. Mitverschulden des Unfallgegners


Grundlage für die Zumessung der Geldbuße ist in erster Linie die Bedeutung der Ordnungswidrigkeit und der Vorwurf, der den Täter trifft (§ 17 III 1 OWiG). Die nach § 26 a StVG als Rechtsverordnung erlassenen Bußgeldkatalog-Verordnung bestimmt für Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr Regelsätze (s.o. B.).[5] Diesen Regelsätzen der BKatV kommt eine auch von Gerichten zu beachtende Bindungswirkung bei.[6] Diese Zumessungsrichtlinien entbinden jedoch nicht von der im Einzelfall gebotenen Prüfung der Berechtigung des Katalogsatzes. Mildernde Umstände können daher zur Reduzierung des Regelsatzes führen. Das Gericht muss deshalb erkennen lassen, dass es etwaige besondere Umstände des Einzelfalls bedacht und berücksichtigt hat. Als zentrales Argument für den Betroffenen kann ein Mitverschulden des Unfallgegners angeführt werden. Während es Verkehrsunfälle gibt, bei denen die Sach- und Rechtslage so eindeutig ist, dass einer der Unfallbeteiligten den Unfall allein verursacht hat, gibt es Kollisionen, in denen es zu einer Haftungsquote kommt. So kann sich eine Kollision infolge des Verschuldens beider Unfallbeteiligter ereignen, z.B. indem beide Verkehrsteilnehmer die Geschwindigkeit den Verkehrsverhältnissen nicht angepasst haben (§ 3 StVO) oder beide gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen haben und dadurch im Begegnungsverkehr kollidiert sind. Nicht allzu selten wird das beiderseitige Verschulden bereits dadurch in der Bußgeldakte dokumentiert, dass wegen des anteiligen Verschuldens beider Kraftfahrzeugführer zwei Bußgeldbescheide ergehen.

Ist zivilrechtlich über den Verkehrsunfall schon entschieden worden, und dort in einem Urteil festgestellt, dass bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des anderen Unfallbeteiligten mitgewirkt hat (§ 254 BGB), so bietet es sich an, dem Bußgeldgericht dahin gehende positive Erkenntnisse zur Kenntnis zu bringen. Zwar gibt es keine Bindungswirkung zivilrechtlicher Prozesse für das Verkehrsordnungswidrigkeitenrecht und umgekehrt.[7] Eine vom zivilrechtlichen Verkehrsgericht zugrunde gelegte günstige Haftungsquote, aus der ein nur geringeres Verschulden des Betroffenen am Verkehrsunfall hervorgeht, kann bußgeldmindernd angeführt werden. Der Bußgeldrichter wird in der Regel bemüht sein, widersprüchliche Ergebnisse zu zivilrechtlichen Prozessen zu vermeiden. Stellt sich heraus, dass zwar eine Vorfahrtspflichtverletzung des Mandanten im Kreuzungsbereich vorlag, jedoch zu gleicher Zeit auch der Unfallgegner gegenüber Verkehrsteilnehmern von rechts wartepflichtig ist, so muss er, wie es § 8 II S.1 StVO vorschreibt, mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann (so genannte Verletzung der „halben” Vorfahrt).[8] So wie der Vorfahrtberechtigte (Unfallgegner) zivilrechtlich mithaften muss, kann bußgeldrechtlich mit dem nur anteiligen Verschulden des Betroffenen argumentiert werden. Auch das vorgerichtliche Regulierungsverhalten der Kfz-Haftpflichtversicherung kann als Indiz für ein Mitverschulden des Unfallgegners sprechen, welches die Einstellung des Bußgeldverfahrens zur Folge haben kann. Begleicht nämlich die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung 80% der Schäden des Betroffenen zivilrechtlich, so erscheint es als offenkundiger Wertungswiderspruch, wenn gegen den Betroffenen nun im Ordnungswidrigkeitenverfahren als angeblich einzig Verantwortlicher eine Geldbuße mit Punkten im Verkehrszentralregister verhängt werden soll.

4. Anwendung des Rechtsgedankens des § 60 S. 1 StGB


Bei einem eigenen hohen wirtschaftlichen Schaden (Beschädigung des Pkw, keine Vollkaskoversicherung vorhanden) oder körperlichen Verletzungen des Betroffenen kann die Bußgeldstelle oder das Gericht die Geldbuße reduzieren oder das Ordnungswidrigkeitenverfahren gem. § 47 OWiG einstellen.[9] Für dieses Verständnis der Vorschrift spricht der Rechtsgedanken des § 60 S. 1 StGB.[10]Hiernach kann das Gericht von Strafe absehen, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, dass die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. Durch eine zusätzliche Geldbuße wäre der Betroffene doppelt gestraft. In diesem Fall erscheint die Verhängung einer weiteren Geldbuße aufgrund des bereits erlittenen finanziellen Schadens als Folge der Verfehlung nicht angemessen. In Form einer anwaltlichen Einlassung sollte daher zur Frage, ob und in welcher Höhe eigener finanzieller Schaden des Betroffenen zu beklagen ist, Stellung genommen werden. Selbst bei einer korrekten Einstufung des Betroffenen als Verursacher des Verkehrsunfalls können so erfahrungsgemäß erfreuliche Verfahrenseinstellungen erzielt werden.

5. Regulierung des Schadens des Unfallgegners


Auch der Umstand, dass der Verkehrsunfall zwischenzeitlich reguliert wurde, veranlasst regelmäßig Bußgeldrichter dazu, das Verfahren einzustellen oder die Geldbuße auf nicht eintragungspflichtige 55,00 EUR zu reduzieren. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 46a StGB, nach dem im Falle des Bemühens um eine Schadenswiedergutmachung von Strafe abgesehen werden kann oder diese gemildert werden kann. Es sollte daher von der Mandantschaft zur Vorbereitung einer anwaltlichen Einlassung erfragt werden, ob sie zum Stand des Regulierungsverfahrens von seiner Kfz-Haftpflichtversicherung informiert worden ist. Für die Begleichung des Schadens der Gegenseite spricht die im Anschluss vorgenommene Höherstufung durch die Kfz-Haftpflichtversicherung.

V. Überprüfung der amtsgerichtlichen Entscheidung durch das OLG


Ficht der erstinstanzlich verurteilte Betroffene die amtsrichterliche Entscheidung wegen vorangegangener Rechtsfehler an, so ist zu beachten, es eine zweite Tatsacheninstanz im Bußgeldrecht nicht gibt. Es findet beim Rechtsbeschwerdegericht nur noch eine Überprüfung des Urteils auf Rechtsfehler statt.

1. Zulassungsrechtsbeschwerde, § 80 OWiG


Wenn der Betroffene die Entscheidung des Amtsrichters anficht, so ist eine Rechtsbeschwerde bei einer Verurteilung zu einer Geldbuße unter 250,00 Euro (Abs. 1) – ohne Fahrverbot – zulassungsbedürftig, § 80 OWiG. Sie wird zugelassen, wenn die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Der Zulassungsgrund ist gegeben, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden, wobei es darauf ankommt, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung insgesamt hat.[11] Dies trifft etwa zu, wenn entweder Verfahrensgrundsätze von elementarer Bedeutung verletzt sind oder das Urteil mit Fehlern behaftet ist und entweder die Gefahr der Wiederholung besteht oder der Fortbestand der Entscheidung zu krassen und augenfälligen, nicht mehr hinnehmbaren Unterschieden in der Rechtsprechung führen würde.[12] Ein Zulassungsgrund soll vorliegen, wenn ein Richter gegen seit Jahrzehnten gefestigte Rechtsprechung verstoßen hat.[13]

Die Zulassungsrechtsbeschwerde ist nochmals gem. § 80 II Nr. 1 OWiG eingeschränkt, wenn gegen den Betroffenen eine Geldbuße von nicht mehr als einhundert Euro festgesetzt wurde. Hier werden Verfahrensrügen nicht zugelassen.

Unter Berücksichtigung dessen ist Folgendes zu beachten: Lehnt der Bußgeldrichter die Einholung eines Sachverständigengutachtens ab, etwa weil ihm die Aussage des unfallgegnerischen Zeugen ausreichte, so muss von der Verteidigung im Rahmen der Rechtsbeschwerdebegründung Verfahrensrüge (hier: Verletzung der Aufklärungspflicht) erhoben werden, an deren Begründung strenge Anforderungen gestellt werden (§ 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Denn allein aus diesem Vorbringen muss sich für das Beschwerdegericht ohne Hinzuziehung der Akten die Möglichkeit der Beurteilung ergeben, ob ein Verfahrensfehler vorliegt oder nicht.

Das Gericht darf nur dann, wenn es den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Beweisaufnahme für geklärt hält, einen Beweisantrag ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist (§ 77 II Nr. 1 OWiG). Hierzu müssen drei Voraussetzungen vorliegen: Es muss bereits eine Beweisaufnahme über eine entscheidungserhebliche Tatsache stattgefunden haben, aufgrund der Beweisaufnahme muss der Richter zu der Überzeugung gelangt sein, der Sachverhalt sei geklärt und die Wahrheit gefunden und die beantragte Beweiserhebung muss nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur weiteren Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sein.[14] Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen; es darf für das Gericht kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die weitere Beweiserhebung keine Aussicht auf Erfolg hat. Das Gewicht der bisherigen Beweiserhebung auf der einen und des Beweismittels, dessen zusätzliche Verwendung beantragt ist, auf der anderen Seite müssen nach dem Ergebnis der gesamten Beweislage abgewogen werden. Eine weitere Beweiserhebung darf nur unterbleiben, wenn die Möglichkeit, dass die Überzeugung des Gerichts durch sie noch erschüttert wird, vernünftigerweise ausgeschlossen erscheint. Wenn das nur unwahrscheinlich ist, muss der Beweis erhoben werden.[15]

Auch über die Verfahrensrüge mit den hohen Begründungsanforderungen ist bei einem rechtsfehlerhaften Vorgehen des Gerichts im Rahmen der Ladung eines Privatgutachters vorzugehen.

2. Rechtsbeschwerde, §§ 79 ff. OWiG


Ist die Wertgrenze überschritten oder zusätzlich zur Geldbuße ein Fahrverbot verhängt, ist das erstinstanzliche Urteil ohne die Zulassungsgründe anfechtbar. Neben der Verfahrensrüge kann auch die Sachrüge erhoben werden, wenn sich aus dem vom Gericht festgestellten Sachverhalt keine bußgeldrechtliche Relevanz ergibt oder das Urteil Darlegungsfehler enthält.

VI. Auswirkungen des Bußgeldverfahrens auf die Unfallregulierung


Der Ausgang des Bußgeldverfahrens kann Auswirkungen auf die Unfallregulierung haben. Es spricht naturgemäß für den Betroffenen, wenn er vom bußgeldrechtlichen Vorwurf der Verursachung eines Verkehrsunfalls auf seinen Einspruch hin freigesprochen wurde oder das Verfahren eingestellt wurde. Die Versicherung kann vor diesem Hintergrund die Begleichung geltend gemachter Ansprüche der Gegenseite ablehnen. Die Begleichung einer Geldbuße durch den Betroffenen kann umgekehrt von der Kfz-Haftpflichtversicherung zum Anlass genommen werden, den Schaden des Unfallgegners auszugleichen. Dies hat regelmäßig zur Folge, dass eine Höherstufung des Betroffenen erfolgt. Die Kfz-Haftpflichtversicherung, die die Aussichten für eine Abwehr der Ansprüche nach Grund und Höhe möglichst zuverlässig einzuschätzen muss und hierzu in der Regel die Bußgeldakte beizieht, führt die Schadenregulierung nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen durch. Dabei wird auch zum Nachteil den Umstand würdigen, dass der Betroffene nach der Kollision seine Schuld am Unfall den Polizeibeamten gegenüber eingeräumt hat. Die Kfz-Haftpflichtversicherung hat eine Regulierungsvollmacht, d.h. sie darf Schäden auch gegen den Willen des Versicherungsnehmers regulieren, auch wenn der Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt hat (da er der Auffassung ist, ihn trage an dem Unfallereignis keine Schuld) und die Versicherung gleichwohl von einer Verursachung der Kollision durch den Fahrer ausgeht. Dabei muss sie den Ausgang des Bußgeldverfahrens nicht abwarten.[16]

VII. Vergütungsrechtliche Aspekte


Die Rechtsanwaltsvergütung richtet sich bei der Verteidigung eines Betroffenen in bußgeldrechtlichen Unfallsachen nach Teil 5 des VV-RVG, wobei es sich um Rahmengebühren handelt, die der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen hat (§ 14 I 1 RVG). Die Verteidigung in derartigen Bußgeldverfahren ist oft mit rechtlichen Schwierigkeiten und/oder umfangreicher Sachaufklärung verbunden und kann daher nicht vornherein als eine im gebührenrechtlichen Sinne nur durchschnittlich schwierige Sache beurteilt werden.[17] Für eine Abrechnung oberhalb der Mittelgebühr kann die besondere Bedeutung für den Betroffenen sprechen, etwa die Verhinderung der Eintragung von Punkten ins Verkehrszentralregister. Ferner kann der Umstand gebührenerhöhend wirken, dass ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde und schriftliche Einwände der Verteidigung vorgebracht wurden.[18] Für die Vertretung in einem Bußgeldverfahren, welches für den Betroffenen einen angeblich verschuldeten Verkehrsunfall zum Gegenstand hat, entsteht bei einer Abrechnung 20% oberhalb der Mittelgebühren ein Honorar in folgender Höhe (Geldbuße zwischen 40,00 und 5.000 EUR).

Grundgebühr nach Nr. 5100 VV-RVG   
120,00 EUR
Verfahrensgebühr vor der Verwaltungsbehörde nach Nr. 5103 VV-RVG
192,00 EUR
Verfahrensgebühr vor dem Amtsgericht nach Nr. 5109 VV-RVG
192,00 EUR
Terminsgebühr nach Nr. 5110 VV-RVG   
306,00 EUR
Nettoanwaltshonorar
810,00 EUR


VIII. Fazit


Bei einer strittigen Unfallschuld muss die Kollision nicht nur für das Zivil-, sondern ggf. auch für das Bußgeldverfahren rekonstruiert werden.
In der Regel erhält der von der Polizei als „ON 01“ bezeichnete Verkehrsteilnehmer einen Bußgeldbescheid, nicht selten wird auch beiden Fahrzeugführern ein Teilverschulden vorgeworfen.
Wird direkt an der Unfallstelle gegen einen/beide Verkehrsteilnehmer ein Verwarnungsgeld verhängt und gezahlt, darf nicht später ein erneutes höheres Bußgeld verhängt werden.
Um die Unfallursache mit Gewissheit aufzuklären, bedarf es der Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens. Schon vorgerichtlich kann der Betroffene ein Privatsachverständigengutachten in Auftrag geben, es wird bei Vorhandensein einer Rechtsschutzversicherung von dieser übernommen.
Zu einer Einstellung oder Reduzierung der Geldbuße führt ein nicht auszuschließendes Mitverschulden an dem Verkehrsunfall durch den anderen Beteiligten. Dabei spielt dem Betroffenen z.B. eine günstige Haftungsquote im Zivilprozess oder eine (anteilige) Regulierung des Unfalls durch die Gegnerhaftpflichtversicherung in die Karten, auch wenn es eine Bindung des Bußgeldrichters an zivilrechtliche Urteile und umgekehrt nicht gibt. Eine Ortsbesichtigung kann zur Erkenntnis des Gerichts führen, dass die Verkehrslage/Beschilderung am Tatort tatsächlich unübersichtlich war und daher nur ein geringfügiges Verschulden des Betroffenen vorliegt. Auch ein eigener hoher wirtschaftlichen Schaden oder erlittener Körperschaden infolge des Unfalls kann unter dem Gesichtspunkt von § 60 StGB bußgeldmindernd angeführt werden.
Der Ausgang des Bußgeldverfahrens kann durchaus Folgen auf die Unfallregulierungspraxis haben. Die Kfz-Haftpflichtversicherung zieht in der Regel die Bußgeldakte bei und macht sich ein Bild von der Haftungslage. Sie besitzt dabei eine Regulierungsvollmacht, d.h. sie darf Schäden auch gegen den Willen des Versicherungsnehmers regulieren. Den Ausgang des Bußgeldverfahrens muss sie nicht abwarten.
Das anwaltliche Tätigkeiten in Bußgeldrechtlichen Unfallverfahren ist auch gebührentechnisch lukrativ. Regelmäßig kann oberhalb der Mittelgebühr abgerechnet werden, zumal der Vorgang bei Bezügen ins Zivilrecht und einem unfallanalytischen Gutachten rechtlich schwierig und/oder umfangreich ist.

 
[1] www.destatis.de vom 28.02.2012.
[2] Schäpe, in Buschbell, Verkehrsrecht, § 3 Rn 64, schätzt, dass im Verkehrsrecht in etwa 70% der Fälle eine Rechtsschutzversicherung und Kostendeckung besteht.
[3] LG Köln, zfs 1999 258.
[4] Fromm, SVR 2011, 132 ff.
[5]   Gürtler, in Göhler, OWiG, § 17, Rn 28 ff.
[6]   OLG Karlsruhe, NJW 2007, 166.
[7] Büscher, in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 322 Rn 93.
[8] OLG Hamm, NZV 2003 377.
[9]   Bohnert, Karlsruher Kommentar zum OWiG, 3. Aufl. 2006, OWiG § 47, Rn 113.
[10] Hierzu: OLG Hamm, MDR 1971, 859.
[11] OLG Düsseldorf NZV 2001 47.
[12] Bohnert, OWiG, 3. Aufl. 2010, § 80 Rn 15.
[13] OLG Hamm, Beschl. v. 07.07.2009 - 2 Ss OWi 646/09, BeckRS 2010, 11683.
[14] OLG Hamm NZV 2007, 155; OLG Schleswig SchlHA 2004, 264f.; KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 77 Rdnr. 15 m.w. Nachw.; Göhler/Seitz, OWiG, § 77 Rdnr. 11.
[15] OLG Celle, Beschl. v. 10.02.1986, 2 Ss (OWi) 297/85.
[16] Rümenapp, in Terbille, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 2. Aufl. 2008, § 13 Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung, Rn 31.
[17] AG Köln, zfs 2004 529.
[18] LG Hamburg, VRR 2008, 237.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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