Rufen Sie mich an: 0261 - 404 99 62
E-Mail:
A. Ungefährlicher als gedacht
Die VOB/B enthält mehrere Paragraphen, welche die Schriftform vorsehen. Als Beispiel für diese Betrachtung soll zunächst die Bedenkenanzeige dienen:
§ 4 Abs. 3 VOB/B
Hat der Auftragnehmer Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung (…), so hat er sie dem Auftraggeber unverzüglich - möglichst schon vor Beginn der Arbeiten - schriftlich mitzuteilen; (…)
Wird eine der Formvorschriften der VOB/B missachtet, hat dies „im Zweifel“, das heißt wenn sich aus dem Vertrag oder den Vertragsumständen nichts anderes ergibt, die Nichtigkeit der Erklärung zur Folge, § 125 BGB.
Dies verblüfft im ersten Zugriff, ist doch der moderne Bauprozess, insbesondere wenn mehrere Gewerke gleichzeitig auf der Baustelle tätig sind, auf schnelle und reibungslose Kommunikation angewiesen. Ein physischer Zettel, der von einem der Beteiligten zu einem anderen übermittelt werden muss, wirkt in Zeiten cloudbasierter Baustellenmanagementsysteme komplett aus der Zeit gefallen.
Nun, wie sich herausstellt ist es so arg dann doch nicht. Dem Problem exzessiver Schriftformerfordernisse hat sich der Gesetzgeber nämlich bereits 2001 angenommen und Erleichterungen geschaffen.
§ 127 Abs. 2 S. 1 BGB
Zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft bestimmten schriftlichen Form genügt, soweit nicht ein anderer Wille anzunehmen ist, die telekommunikative Übermittlung (…)
Rechtsgeschäftliche Formerfordernisse sind all solche, die von den Parteien gewillkürt in ihrem Vertrag festgelegt werden. Das Gegenstück sind die gesetzlichen Schriftformerfordernisse, wie etwa §§ 368 S. 1 oder 766 S. 1 BGB. An dieser Stelle muss also nochmals eine der großen Wahrheiten des Baurechts ausgesprochen werden: Die VOB/B wird – wenn die Parteien ihre Geltung vereinbaren – als allgemeine Geschäftsbedingungen Vertragsbestandteil. Sie ist also keine Rechtsnorm. Dabei ist es auch unerheblich, ob ein öffentlicher Auftraggeber beteiligt ist oder nicht.
Die Schriftformerfordernisse der VOB/B sind also rechtsgeschäftlich im Sinne von § 127 Abs. 2 S. 1 BGB. Als solche können sie durch die einfache Textform ersetzt werden. Die Textform (§ 126b BGB) ist dabei in der Regel schon durch eine einfache E-Mail oder eine SMS gewahrt.
B. Der Streitstand
Dies war und ist hinsichtlich aller Schriftformerfordernisse der VOB/B die überwiegende Ansicht der meisten Kommentator*innen und Rechtswissenschaftler*innen (Übersicht bei: Preisser in: BeckOGK, Stand 01.01.2022, BGB § 635 Rn. 212). Auch das OLG Köln sah dies in der Vergangenheit schon so (OLG Köln, Urteil vom 22.07.2016 – I-16 U 145/15 = BauR 2017, 1218).
Indes wurde von anderen OLGs, teils ohne nähere Begründung, die Anwendung von § 127 Abs. 2 S. 1 BGB unterlassen, so: OLG Frankfurt, Beschluss vom 30.04.2012, 4 U 269/11 = NJW 2012, 2206; Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2015, 1 U 209/15, juris. Diese Auffassung forderte vielmehr die Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur, eine einfache E-Mail genüge nicht, die Erklärungen waren dort jeweils unwirksam.
Nun hat sich das OLG Koblenz, soweit ersichtlich zum ersten Mal, zu der Frage geäußert, ob die Schriftformerfordernisse der VOB/B durch einfache E-Mail gewahrt sind. Es hat die Frage dabei bejaht, OLG Koblenz, Urteil vom 08.10.2020, 6 U 1945/19 = BauR 2021, 693. Zwar stützt das OLG seine Entscheidung hier als weitere Erwägung auf die Tatsache, dass schon lange anerkannt ist, dass auch ein eindeutiger mündlicher Hinweis den Bauunternehmer enthaften kann (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18.07.2018, 12 U 8/18), doch bei genauer Betrachtung des Urteils ist dies nur eine zusätzliche Erwägung, welche vorgebracht wird, weil eben spezifisch zu § 4 Abs. 3 VOB/B zu entscheiden war. Die grundsätzliche Positionierung des OLG ist unabhängig hiervon und wohl auf alle Schriftformerfordernisse der VOB/B übertragbar. So wird auch konsequenterweise die zuvor erwähnte Entscheidung des OLG Frankfurt ablehnend zitiert.
C. Gefährlicher als gedacht
Vor diesem Hintergrund soll, insbesondere für die OLG-Bezirke Koblenz und Köln, jedoch auch vor den Konsequenzen dieser Rechtsprechung gewarnt werden. Die einfache Textform als Ersatz der vertraglichen Schriftform ist im Rahmen der Bedenkenanzeige nach § 4 Abs. 3 VOB/B für alle Beteiligten noch mehr oder weniger harmlos und wohl auch im allseitigen Interesse. Denn auch in der Krise hat der Bauherr ein Interesse daran, schnell von (vermeintlichen) Bedenken seiner Unternehmer zu erfahren, damit er – in welcher Art auch immer – reagieren kann. Die Formensubstitution aus § 127 Abs. 2 S. 1 BGB entwickelt jedoch im Kontext einer anderen VOB/B Klausel ungeahnte Sprengkraft:
§ 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, alle während der Verjährungsfrist hervortretenden Mängel, die auf vertragswidrige Leistung zurückzuführen sind, auf seine Kosten zu beseitigen, wenn es der Auftraggeber vor Ablauf der Frist schriftlich verlangt. Der Anspruch auf Beseitigung der gerügten Mängel verjährt in 2 Jahren, gerechnet vom Zugang des schriftlichen Verlangens an (…) [jedoch nicht vor Ablauf der allgemeinen Fristen]
Auch hier wird die Schriftform durch die Textform ersetzt.
Es mag also durchaus die folgende Situation eintreten:
Dem Bauherrn (VOB/B vereinbart) fallen kurz nach der Abnahme dunkle Verfärbungen am Sockelputz auf. Er berichtet seinem Generalunternehmer flüchtig per SMS davon. Nichts geschieht, beide vergessen den Sachverhalt. Kurz vor Ablauf der regulären Gewährleistungsfrist fällt dann an derselben Stelle der Putz von der Wand. Der Bauherr setzt sofort einen Brief an den Bauunternehmer auf und rügt den Mangel. Dieser reagiert nicht, dann läuft die reguläre Gewährleistungsfrist ab. Es stellt sich später heraus, dass die Putzschäden auf eine bereits von Anfang an mangelhafte Abdichtung zurückgehen.
Der Bauherr kann hier nicht von der „Zusatzfrist“ des § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B profitieren. Er hat den Mangel nämlich bereits kurz nach Abnahme per SMS schon einmal „schriftlich“ – also eigentlich „textlich“, 127 Abs. 2 S. 1 BGB – gerügt! Nur die erste Mangelrüge löst die „Zusatzfrist“ des § 13 Abs. 5 Nr. 1 S. 2 VOB/B aus (schon: BGH, Urteil vom 25.11.1976 – II ZR 209/75 –, Rn. 10, juris). Es genügt für die Mangelrüge ferner, wenn der Bauherr ein ihm aufgefallenes Symptom des Mangels beschreibt (näheres dazu hier). Damit löst er dann, eventuell ganz unbeabsichtigt, die Frist des § 13 Abs. 5 Nr. 1 VOB/B aus. Seine zweite Mangelanzeige später hat keinen Einfluss mehr auf die Verjährung.
D. Praktische Hinweise
Unter anderem aus diesem Grund, und weil die Rechtsprechung der Obergerichte zu § 127 Abs. 2 S. 1 BGB eben so uneinheitlich ist, ist in der Praxis immer zur Übersendung von wichtigen Erklärungen durch Einwurfeinschreiben zu raten. Die Schriftform hat eine Warn- und Dokumentationsfunktion, welche zumindest für manche Klauseln der VOB/B noch immer ihren Wert haben mag. Außerdem kann nur so der Zugang einer Erklärung im Zweifel auf den Tag genau gerichtsfest bewiesen werden. Wenn die Zeit drängt, kann die Erklärung auch eingescannt und vorab per Mail übersandt werden. Man kann dabei um eine kurze Bestätigung des Zugangs bitten. Die anschließende Versendung per Einwurfeinschreiben ist aber unerlässlich, denn der Vertragspartner ist natürlich nicht verpflichtet, ein solches Empfangsbekenntnis abzugeben. Bis zu einer höchstrichterlichen Klärung, ob eine E-Mail der Schriftform im Sinne der VOB/B genügt, besteht ferner eben auch das Risiko einer abweichenden OLG-Meinung.
Damit Ihr Projekt beziehungsweise Ihr Betrieb erst gar nicht in Schwierigkeiten gerät, wenden Sie sich vertrauensvoll an uns. Wir beraten wir Sie gerne auch schon während der Bauphase.
Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.