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Donnerstag, 01.03.2012

§ 411 StPO und Befangenheitsantrag



von
Markus Schmuck
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht

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I. Einleitung

Regelmäßig widersetzen sich Tatrichter im Strafbefehlsverfahren dem Antrag der Verteidigung, den Angeklagten vom persönlichen Erscheinen zu entbinden, und dies, obwohl eine schriftliche Vertretungsvollmacht vorgelegt wird. Auch wird regelmäßig das Erscheinen des Angeklagten ohne schriftliche oder auch nur denkbare Begründung angeordnet. Der Aufsatz soll Handlungs- und Denkansätze für das Strafbefehlsverfahren und die Norm des § 411 Abs. 2 S. 1 StPO geben.

II. Die Anwesenheit des Angeklagten als Verfahrensgrundsatz

Als allgemeine Prozessmaxime bestimmt der Unmittelbarkeitsgrundsatz für die Hauptverhandlung, dass das erkennende Gericht die für die Urteilsfindung bedeutsamen Tatsachen selbst feststellen muss. Daraus folgt der Anwesenheitsgrundsatz der Prozessbeteiligten, der sich für den Angeklagten aus § 230 Abs. 1 StPO ergibt. Dem Angeklagten soll so der Anspruch auf rechtliches Gehör gewahrt sowie die Möglichkeit der effektiven Verteidigung eröffnet werden. Die Anwesenheit des Angeklagten soll dem Gericht im Hinblick auf die Wahrheitsfindung wiederum einen unmittelbaren Eindruck von seiner Person, seinem Auftreten und seinen Erklärungen vermitteln. Es erscheint nicht realitätsnah, dass das persönliche Auftreten des Angeklagten vor dem erkennenden Gericht ein günstiges Ergebnis wahrscheinlicher machen kann. Dies mag daran liegen, dass der Tatrichter aus dem persönlichen Erscheinen des Angeklagten schließt, dass dieser sich vor der Last, sich in Person für die vorgeworfene Tat zu verantworten, nicht versteckt. § 230 Abs. 1 StPO kann daher sowohl als Anwesenheitspflicht als auch als Anwesenheitsrecht des Angeklagten interpretiert werden.

III. Ausnahme vom Anwesenheitsgrundsatz im Strafbefehlsverfahren

Das Strafbefehlsverfahren dient dazu, möglichst schnell, kostengünstig und ohne aufwändige Hauptverhandlung zu einer Verurteilung zu kommen. Der Erlass eines Strafbefehls ist gem. § 407 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. StPO immer dann zulässig, wenn es sich um vor dem erkennenden Gericht abzuurteilende Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB) handelt. Ist bei einem Beschuldigten hinsichtlich eines derartigen Delikts hinreichender Tatverdacht gem. § 170 Abs. 1 StPO zu bejahen, so kann die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Richter Antrag auf Erlass eines Strafbefehls stellen. Gem. § 407 Abs. 2 StPO ist der Antrag in der Regel nur auf Geldstrafe sowie gewisse Nebenstrafen zu richten; Freiheitsstrafen dürfen nur bei einer Dauer unter einem Jahr und bei Aussetzung zur Bewährung beantragt werden. Aufgrund dieser Einseitigkeit lässt sich der Strafbefehl als eine Offerte an den Beschuldigten verstehen, die er durch Ergebung „annimmt“ oder durch Einlegung eines Einspruchs ausschlägt.

EinspruchDer Einspruch als außerordentlicher Rechtsbehelf hat die Funktion die „aufschiebend bedingte Verurteilung“ zu beseitigen und die Durchführung einer Hauptverhandlung zu erzwingen. Wird innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle Einspruch gem. § 410 Abs. 1 StPO eingelegt, wird ein Termin zur Hauptverhandlung anberaumt, § 411 Abs. 1 S. 2 StPO. Nach dem Einspruch übernimmt der Strafbefehl die Funktion des Eröffnungsbeschlusses. Das anschließende Hauptverfahren richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften gem. §§ 213 ff. StPO.

Der Angeklagte braucht in der Hauptverhandlung nach dem Einspruch gegen den Strafbefehl nicht selbst zu erscheinen. Er kann sich gem. § 411 Abs. 2 S. 1 StPO durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Verteidiger vertreten lassen.

IV. Interessen des Angeklagten, dem Verfahren fernzubleiben

In manchen Fällen wird es dem Angeklagten sehr gelegen sein, vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden zu sein. Der Angeklagte hat Kosten und Zeit zu investieren, wenn er vor Gericht persönlich antreten möchte. Eine wahrscheinlich gewichtigere Rolle wird es aber spielen, dass mit der persönlichen Anwesenheit des Angeklagten vor Gericht auch eine psychische Belastung einhergeht. So muss der bereits durch den ergangenen Strafbefehl suggerierten Kriminalisierung metaphorisch „ins Auge gesehen werden“. Wie bereits dargelegt, werden durch Strafbefehl gerade kleinere Delikte zur Hauptverhandlung gebracht, und so erscheint es auch verständlich, dass im Vergleich zu der vorgeworfenen Tat die psychische Belastung einer Hauptverhandlung ungleich schwerer wiegen kann. Die vom Gesetz eingeräumte Ausnahme des Anwesenheitsgrundsatzes gem. § 411 Abs. 2 S. 1 StPO wird den Besonderheiten des Strafbefehls gerecht. Der vor der Hauptverhandlung ergangene Strafbefehl beruht nicht auf einer richterlichen Beweiserhebung, sondern lediglich auf dem von Staatsanwaltschaft und Polizei ermittelten Akteninhalt. Dem Strafbefehl geht also ein einseitiger, staatlicher Machtprozess voraus. Das Gesetz gesteht dem Angeklagten daher zu, sich dem Kampf „David gegen Goliath“ zumindest physisch zu entziehen, indem er einen Gegner auf Augenhöhe, den Verteidiger als seinen Vertreter, „in die Arena schickt“.

V. Der Verteidiger als Vertreter des Angeklagten (insbes. im Strafbefehlsverfahren)

Der Verteidiger ist grundsätzlich nicht Vertreter des Beschuldigten, sondern selbständiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Der Verteidiger ist gem. § 137 StPO Beistand des Angeklagten; als Vertreter gem. § 234 StPO tritt er an dessen Stelle.17 Damit sind Verteidigung und Vertretung des Angeklagten zu trennen.

Die wirksame Vertretung setzt eine schriftlich dokumentierte Vollmacht hierzu voraus. Eine allgemein gehaltene Vollmacht „für alle Prozesshandlungen“ reicht nicht aus.

Es genügt, wenn die Vollmacht dem Gericht vom Angeklagten schriftlich mitgeteilt oder wenn sie zu Protokoll erklärt wird. Die Vertretungsvollmacht kann zugleich in oder mit der Verteidigervollmacht begründet werden.

Die Vollmacht muss dem Gericht zu Beginn der Verhandlung vorliegen. Ausnahmsweise bedarf es bei Beginn der Verhandlung des Nachweises einer schriftlichen Vollmacht nicht, wenn deren Vorliegen auf andere Weise sichergestellt werden kann, z.B. wenn die zunächst vorliegende schriftliche Vollmacht widerrufen, dann aber mündlich bestätigt wurde und sich dies aus dem Sitzungsprotokoll ergibt. Das Gericht muss aus Gründen der Rechtssicherheit einen verlässlichen Nachweis für die Vertretungsmacht haben.

Tatsächlich ist eine ordnungsgemäße Vertretung dann nicht gegeben, wenn der Verteidiger erklärt, er könne sich mangels Information durch den Angeklagten nicht äußern, und deswegen das Mandat niederlegt, oder wenn er nur den Antrag stellt, die Hauptverhandlung auszusetzen.

VI. Rechtsfolgen im Falle einer (unwirksamen) Vertretung

In der Praxis kommt es trotz ordnungsgemäßer Vertretung des Angeklagten durch den Verteidiger noch häufig vor, dass das Fernbleiben des Angeklagten vom Gericht als unentschuldigtes Ausbleiben gedeutet wird und es ein Verwerfungsurteil nach § 412 StPO erlässt. Ein Verwerfungsurteil gem. § 412 StPO setzt voraus, dass der Angeklagte weder erschienen ist noch durch seinen Verteidiger vertreten wurde, sowie nicht genügend entschuldigt fernbleibt. Ist der Angeklagte jedoch wirksam vertreten durch seinen Verteidiger, kann nicht gefolgert werden, dass der Angeklagte die mit dem Einspruch begehrte Nachprüfung des Strafbefehls aufgrund seines Nichterscheinens verwirkt hat.

Das Gericht ist also nicht befugt, den Einspruch gem. § 412 StPO zu verwerfen, wenn statt des Angeklagten ein bevollmächtigter Vertreter erschienen ist. Der Angeklagte kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Legt er ein Rechtsmittel ein, so hebt das Rechtsmittelgericht das Verwerfungsurteil auf und verweist die Sache an das Amtsgericht zur Sachverhandlung zurück, da der Angeklagte andernfalls eine Instanz verlieren würde und das Berufungsgericht für die Entscheidung über einen zulässigen Einspruch nicht zuständig ist.

VII. Ausnahme von der Ausnahme: Anordnung des persönlichen Erscheinens gem. § 236 StPO

Das Gericht ist trotz der generellen Möglichkeit der Vertretung gemäß § 411 Abs. 2 S. 1 StPO stets befugt, das persönliche Erscheinen des Angeklagten nach § 236 StPO anzuordnen, was wiederum das Recht des Angeklagten, sich vor Gericht vertreten zu lassen, nicht berührt. Dies gilt auch dann, wenn die bereits oben dargestellten Voraussetzungen einer Vertretung erfüllt sind. Beachtet der Angeklagte die Aufforderung nicht, kann das Gericht ihn vorführen lassen. Das Gericht entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob trotz Vertretung des Angeklagten sein persönliches Erscheinen angeordnet werden soll. Pflichtgemäß ist die Ermessensausübung bei Anordnung des persönlichen Erscheinens, wenn diese zur Aufklärung des Sachverhalts geboten ist und dem Angeklagten das Erscheinen unter Berücksichtigung seiner Belange und der Bedeutung der Strafsache zugemutet werden kann. Es bedarf also einer umfassenden Würdigung aller für und gegen die Anordnung sprechenden Gesichtspunkte. Für diese Interessensabwägung bedeutend ist, dass auch bei weiter Entfernung zwischen dem Wohnsitz des Angeklagten und dem Gerichtsort das Gericht zur Identifizierung des Täters an Hand von Lichtbildern das persönliche Erscheinen des Angeklagten anordnen darf.

Erscheint der Angeklagte trotz Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht, ist das Gericht nicht gezwungen, Zwangsmaßnahmen anzuwenden. Dies ist darin begründet, dass grundsätzlich auch in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt werden kann. Gem. § 236 StPO kann das Erscheinen des Angeklagten durch Vorführungsbefehl oder Haftbefehl erzwungen werden. Das Gericht muss bei Anordnung von Zwangsmitteln jedoch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Wenn das Erscheinen des Angeklagten schon mit einfacheren Mitteln sicher erreichbar ist, dürfen Zwangsmittel nicht angewendet werden. Daraus ergibt sich, dass der Vorführungsbefehl dem Haftbefehl vorgeht.

VIII. Möglichkeiten

Die prozessualen Angriffsmittel des Angeklagten gegenüber dem Gericht können zweierlei Ziele haben. Zum einen kann er sich auf erster Stufe gegen die Anordnung des persönlichen Erscheinens richten, hier steht ihm ein Antrag auf Ablehnung des Richters wegen dessen Befangenheit (§ 24 StPO) zur Verfügung. Zum anderen kann er sich auf zweiter Stufe gegen die – im Falle der Erfolglosigkeit des Befangenheitsantrags – drohenden Zwangsmittel des Gerichts zur Wehr setzen.

1. Reaktion auf willkürlich anmutende Anordnung des persönlichen Erscheinens

Die im Vorfeld ergangene Anordnung des persönlichen Erscheinens gem. § 236 StPO ist eine der Urteilsfindung vorausgehende Entscheidung und daher nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 305 StPO). Da sich aus der Anordnung des persönlichen Erscheinens durch das Gericht zumindest auch eine Tendenz hinsichtlich der späteren Anordnung von Zwangsmitteln entnehmen lässt – ein das persönliche Erscheinen anordnender Richter wird dieses in der Regel auf zweiter Stufe auch durch Zwangsmittel durchzusetzen versuchen –, ist ein Vorgehen gegen die Anordnung des persönlichen Erscheinens bereits auf dieser Stufe durchaus geboten. Da dienstaufsichtsrechtliche Prozesse gegen einen einzelnen Richter aufgrund dessen verfassungsrechtlich zugesicherter Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG) nicht durch eine der Parteien des Strafprozesses angestrengt werden können, bleibt als mögliche Vorgehensweise zur Beseitigung der Erscheinensanordnung das Stellen eines Antrags auf Ablehnung des Gerichts aufgrund der Befangenheitsbesorgnis (§ 24 StPO).

Wie dargestellt, muss der Anordnung des persönlichen Erscheinens jedoch eine Ermessensentscheidung des Gerichts vorausgegangen sein. In der Praxis erscheint es in diesem Zusammenhang eher willkürlich, wenn ein Gericht trotz Anwesenheit eines wirksam zur Vertretung bevollmächtigten Verteidigers auf das Erscheinen des Angeklagten besteht. Auch ein objektiver Beobachter mag den Eindruck gewinnen, dass so mancher Richter die Abwesenheit des Angeklagten als Affront wertet und sich von sachfremden Erwägungen leiten lässt. Ist die persönliche Anwesenheit des Angeklagten zudem für die Wahrheitsfindung vor Gericht offensichtlich irrelevant, müssen hinter der Anordnung des persönlichen Erscheinens private Interessen oder ein willkürlicher bzw. willkürlich anmutender Akt vermutet werden.

Fraglich ist, ob ein so handelnder Richter darüber hinaus nicht möglicherweise sogar Misstrauen in die Unvoreingenommenheit seines – jetzigen und späteren – Handelns rechtfertigt. Dies könnte eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit gem. § 24 Abs. 1, 2. Alt. StPO rechtfertigen. Freilich kann nicht allein jede persönliche Antipathie oder fehlerhafte Entscheidung einem Antrag auf Befangenheit zum Erfolg verhelfen. Jedoch sind die von der Rechtsprechung an einen solchen Antrag gestellten Anforderungen nicht derartig hoch, dass dieser von Vornherein zum Scheitern verurteilt wäre. Denn § 24 Abs. 2 StPO ist nicht erst dann erfüllt, wenn der abgelehnte Richter tatsächlich parteilich oder befangen ist, sondern wenn der Anschein einer Befangenheit besteht. Demnach ist eine Befangenheit eines Richters schon dann anzunehmen, wenn ein durchschnittlicher Beobachter, der sich in die Rolle des Angeklagten versetzt, bei verständiger Würdigung der Umstände den Verdacht hegen würde, es bestehe eine Voreingenommenheit. Hinsichtlich des Beurteilungsmaßstabes, ob eine Voreingenommenheit des Richters anzunehmen ist, ist in der hier vorliegenden Fallgestaltung zu berücksichtigen, dass vor Gericht zwar nur eine Person auftritt, diese jedoch eine „Doppelfunktion“ erfüllt, da sie zum einen den Angeklagten vertritt und zum anderen als Verteidiger fungiert. Aus diesem Grund ist der Anknüpfungspunkt zur Beurteilung einer Befangenheit ebenfalls ein doppelter. In der Literatur wird generell hinsichtlich der Feststellung einer Befangenheit des Richters zwischen dem Verhältnis „Richter-Angeklagter“ und „Richter-Verteidiger“ unterschieden, wobei ein Mangel im Verhältnis „Richter-Verteidiger“ nur ausnahmsweise einen Befangenheitsantrag stützen soll. Diese Einschränkung lässt sich aber für das Szenario, dass Vertreter (Angeklagter) und Verteidiger in Personalunion vor Gericht agieren, nicht uneingeschränkt aufrecht erhalten, so dass eine voreingenommene Haltung des Richters gegenüber dem Verteidiger auch unmittelbare Auswirkungen für den Angeklagten hat. Ist die Perspektive, nach der sich die Befangenheitsbeurteilung zu richten hat, geklärt, stellt sich nun die Frage, ob im konkreten Fall auch ein zur Befangenheit des Gerichts führender Befangenheitsgrund vorhanden ist. Dabei können sich aus dem Verhalten des Gerichts Schlüsse auf dessen Unvoreingenommenheit ziehen lassen. Insbesondere werden grobe oder objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Prozessbeteiligten beruhende Verstöße gegen Verfahrensrecht als Ablehnungsgrund anerkannt.

Überträgt man diese Ergebnisse auf den Fall, dass ein Richter das persönliche Erscheinen eines Angeklagten im Hauptverfahren nach Einspruch gegen einen Strafbefehl anordnet, ließe sich ein Befangenheitsantrag durchaus auf die Begründung stützen, dass der Richter das persönliche Erscheinen willkürlich angeordnet hat. Besteht aufgrund der konkreten äußeren Umstände des Sachverhalts und des bisherigen Verfahrensablaufs der Eindruck, dass das Gericht das persönliche Erscheinen nicht deshalb anordnet, weil es zur Wahrheitsfindung erforderlich wäre, sondern dies als erzieherische Maßnahme gegen fehlinterpretierte Respektlosigkeit versteht (bspw. aufgrund gekränkter Eitelkeit des Richters; Verdacht des Gerichts, der Angeklagte wolle sich vor einer Verhandlung „drücken“), ist die Anordnung des persönlichen Erscheinens aus der Sicht eines objektiven Dritten nicht nachvollziehbar und kann daher einen Verfahrensmangel belegen. Dieser objektive Umstand des Verfahrensmangels kann dann in Verbindung mit den dahinter stehenden subjektiven Befindlichkeiten des Richters eine Befangenheit im Sinne des § 24 Abs. 2 StPO begründen. In der Regel erkennt man dies bereits an überhaupt nicht begründeten und auch tatsächlich auch nicht begründbaren gerichtlichen Entscheidungen zu diesem Thema.

2. Reaktion auf anschließende Zwangsmittel

Gegen die Verhängung von Zwangsmitteln ist die Beschwerde zulässig (§§ 304, 305 StPO). Der Haftbefehl kann gem. § 310 Abs. 1 StPO auch mit der weiteren Beschwerde angefochten werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Haftbefehl bereits vollzogen wurde oder noch aussteht. Die Beschwerde ist dann begründet, wenn der Haftbefehl gem. § 230 Abs. 2 StPO zur Erzwingung der Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung unverhältnismäßig erscheint. Der Haftbefehl darf im Strafbefehlsverfahren, dem die Verhaftung des Angeklagten strukturell fremd ist, nicht zu einer Disziplinarmaßnahme für „ungehorsame Angeklagte“ verkommen. Zweck des Haftbefehls ist vielmehr, die Durchführung der Hauptverhandlung unter Berücksichtigung der Aufklärungspflicht und der gestalterischen Vorstellung des Tatrichters zu sichern. Vor Erlass des Haftbefehls ist die Prüfung erforderlich, ob das Gericht die Hauptverhandlung trotz Ungehorsams des Angeklagten gleichwohl ohne Einbußen bei der Wahrheitsfindung durchführen kann. Auch hat der Strafrichter zu berücksichtigen, wenn es sich um eine Tat von eher geringer strafrechtlicher Bedeutung handelt. Sobald hier – für einen objektiven Dritten – erkennbar nicht nur die Aufklärungspflicht und die gestalterische Vorstellung des Tatrichters im Vordergrund stehen, kommt auch hier dann der Befangenheitsantrag in Betracht. So muss die Äußerung eines Tatrichters im Strafbefehlsverfahren im Termin, nachdem er erfährt, der Angeklagte lasse sich vom Verteidiger mit schriftlicher Vollmacht vertreten: „Na, da gibt es doch die tolle Norm § 230; Herr Staatsanwalt, was meinen Sie? Das wäre doch was, oder?“ sofort zu einem Antrag nach § 24 StPO führen. Speziell im genannten Beispiel ging das Verhandeln ohne den Angeklagten – nach gestelltem Antrag – dann doch. Es musste nur durch den Verteidiger zugesagt werden, dass der Befangenheitsantrag zurückgenommen würde.

IX. Fazit

Gerade im Strafbefehlsverfahren macht die Teilnahme des Angeklagten – gerade bei Schweigeverteidigung – kaum Sinn. Die Verteidigung hat darauf zu achten, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens und Zwangsmittel prozessual und verfassungsrechtlich korrekt eingesetzt werden. Ergeben sich Anhaltspunkte, dass eine andere Verteidigung als durch Ablehnung gem. § 24 StPO nicht möglich ist, darf die Verteidigung nicht zögern.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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