Rechtsanwalt Dr. jur. Gerhard Wolter, Rechtsberater in Saarbrücken
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Freitag, 01.05.2015

Probleme des europäischen Transport- und Handelsrechts – der Frachtführer in Frankreich



von
Dr. jur. Gerhard Wolter
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht

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Französische Frachtführer werden in Europa um ein Gesetz beneidet, das einzigartig scheint. Nach Artikel L 132- 8 des französischen Handelsgesetzbuchs hat ein Frachtführer nämlich einen direkten vertraglichen Zahlungsanspruch sowohl gegen den Absender, als auch gegen den Empfänger, und zwar unabhängig davon, wer den Transportauftrag erteilt hat. Diese Vorschrift erlangt immer dann Bedeutung, wenn der Auftraggeber nicht zahlt oder, noch schlimmer, nicht zahlen kann. Ist Auftraggeber der Absender gewesen und wendet der Frachtführer sich nun an den Empfänger, kann letzterer nicht einwenden, er habe schließlich gegenüber seinem Vertragspartner (meist der Absender, mit dem er einen Kaufvertrag geschlossen hat) erfüllt. Es kann also leicht passieren, dass der Empfänger doppelt zahlen muss, nämlich dann, wenn er den Transportanteil mit dem Kaufpreis bereits gezahlt hat und nun der Frachtführer vor der Tür steht und seine Leistung vergütet haben will.

Ein aktueller Fall aus der Praxis zeigt die Bedeutung der Vorschrift:

Eine französische Winzergenossenschaft (Absender) verkaufte erhebliche Mengen Weines an einen deutschen Weinhändler (Empfänger), der diesen Wein in Deutschland abfüllte und weiterverkaufte. Der Weinhändler zahlte stets seine Rechnungen pünktlich und vollständig. Umso überraschter war er, als er eines Tages ein Schreiben eines französischen Transportunternehmers erhielt, der im Laufe des Jahres oft Wein der Winzergenossenschaft bei ihm angeliefert hatte. Der französische Unternehmer verlangte 360.000 €, die Summe, mit deren Zahlung sein Auftraggeber, eben die Winzergenossenschaft, für durchgeführte Transporte zum Weinhändler in Rückstand geraten war. Die Winzergenossenschaft war zahlungsunfähig. Der Frachtführer berief sich auf Artikel L 132-8 des Handelsgesetzbuchs.

Voraussetzung für eine solche (aus Sicht des französischen Frachtführers) Wohltat ist natürlich, dass französisches Recht anwendbar ist. Das ist in erster Linie bei innerfranzösischen Transporten der Fall. Bei grenzüberschreitenden Transporten gilt hingegen vorgreiflich die CMR. Die CMR regelt aber nicht alles und da, wo sie Lücken hat, sind diese Lücken mit dem auf den Transportvertrag anwendbaren nationalen Recht aufzufüllen. Dieses nationale Recht wird durch besondere Regeln ermittelt. Die Vertragsparteien können eine Rechtswahl treffen (was sie oft nicht tun). Dann gilt das vereinbarte Recht. Wenn hingegen nichts vereinbart ist, ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Frachtführer seinen Sitz hat, sofern sich in diesem Staat auch der Übernahmeort des Guts oder der Ablieferungsort des Guts oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet. Wenn man auch damit nicht zu einer Lösung kommt, gilt das Recht des Ablieferungsortes.

Ein französischer Frachtführer, der Gut aus Frankreich heraus oder nach Frankreich hinein transportiert, kann sich also immer auf französisches Recht berufen, soweit die CMR Lücken aufweist. Aber auch ein deutscher Frachtführer, der zum Beispiel im Auftrag eines Belgiers Gut von Luxemburg nach Frankreich transportiert, unterliegt den Vorschriften des französischen Rechts und könnte sich ggf. auf Art. 132-8 des französischen Handelsgesetzbuches berufen. Wäre also sein Auftraggeber zwischenzeitlich in Insolvenz geraten und hätte die Fracht nicht bezahlt, könnte sich der deutsche Frachtführer an den französischen Empfänger wenden und von diesem Zahlung verlangen – so die Rechtsansicht in Frankreich.

Auch hält es die französische Rechtsprechung für unzweifelhaft, dass ein französischer Frachtführer bei einem Transport von Frankreich nach Deutschland gegen einen deutschen Empfänger einen vertraglichen Anspruch auf Zahlung der Fracht besitzt, und  zwar auch dann, wenn der Empfänger dies weder weiß, noch jemals gewollt hat. Die CMR steht dem nach Ansicht französischer Richter nicht entgegen, weil die CMR keinen dem Artikel L 132-8 des französischen Handelsgesetzbuches vergleichbare Direktanspruch regele. Daraus wird dann der Schluss gezogen, dass die CMR eine Lücke aufweise, die dann durch das französische Recht geschlossen werden könne bzw. müsse.

Dieses Ergebnis ist erstaunlich. Wer in Frankreich etwas kauft und die Ware von einem vom Verkäufer beauftragten Transportunternehmen nach Deutschland geliefert bekommt, soll plötzlich ohne Wissen und Wollen einen weiteren Vertragspartner haben, der Geld verlangen darf?

Nun gelangen solche Fälle so gut wie nie vor deutsche Gerichte. Französische Frachtführer klagen natürlich lieber in Frankreich, denn die CMR lässt einem Kläger unter anderem die Wahl zwischen den Gerichten am Ort der Übernahme des Gutes und den Gerichten an dem für die Anlieferung vorgesehenen Ort. Deshalb steht dem französischer Frachtführer meist ein französischer Gerichtsstand zur Seite (die Frage des Gerichtstandes ist nicht zur verwechseln mit der oben angesprochenen Frage, welches Recht anwendbar ist. So kann es vorkommen, dass etwa ein deutsches Gericht zuständig ist, dann aber ausländisches Recht anwenden muss).

Im eingangs beschriebenen Fall musste der Empfänger schnell handeln. Denn hätte der Frachtführer vor einem französischen Handelsgericht Klage erhoben, wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung des Weinhändlers gekommen. Da ausländische Urteile innerhalb der Europäischen Union mit relativ geringem Aufwand vollstreckt werden können und auch nur in sehr seltenen Fällen von den Gerichten des Landes, in dem vollstreckt wird, auf inhaltliche Richtigkeit überprüft werden dürfen, ist man hier schnell in auswegloser Lage.

Der deutsche Empfänger erhob deshalb unverzüglich negative Feststellungsklage beim Landgericht des Anlieferungsortes, mit dem Antrag festzustellen, dass der Frachtführer keinen Zahlungsanspruch auf Basis jenes französischen Gesetzes hat.

Das Landgericht hat der Klage des Empfängers stattgegeben (LG Koblenz, Urteil vom 17.03.2015, Az. 3 HK O 33/14) und hat damit anders geurteilt, als es ein französisches Gericht vermutlich getan hätte.

Es stellte fest, dass der streitgegenständliche Beförderungsvertrag den Regeln der CMR unterliegt. Es meinte dann aber, dass die CMR die Frage eines unmittelbaren Vergütungsanspruchs des Frachtführers gegenüber dem Empfänger entgegen der in Frankreich vertretenen Ansicht sehr wohl regele. Deshalb fehle es an einer Lücke. Mangels Lücke müsse man auch nichts mit französischem Recht auffüllen. Denn Art. 13 Abs. 2 CMR sieht vor, dass der Empfänger vom Frachtführer Aushändigung des Frachtbriefs und des Gutes gegen unmittelbare Bezahlung fordern darf. Der Empfänger hat es hier also selbst in der Hand zu entscheiden, ob er zahlen will oder nicht. Der CMR-Frachtvertrag ist insoweit als Vertrag zugunsten Dritter ausgeformt, während das französische Recht im Frachtvertrag einen Mehrparteienvertrag sieht, der letztlich zum Vertrag zulasten eines Dritten werden kann. Ein solches Konzept ist jedoch von der CMR nicht gewollt, so das Landgericht, weshalb die CMR solchen Ansprüchen den Weg versperrt. Deshalb muss der Weinhändler nicht zahlen.

Das Urteil ist, wenn es rechtskräftig wird, nicht nur für den Weinhändler von großer Tragweite. Es zeigt, dass die Auslegung internationaler Verträge durch die nationalen Rechtsprechungen nicht einheitlich sein muss. Zwar ist eine einheitliche Auslegung im Grundsatz wünschenswert. Wenn jedoch eine nationale Gesetzgebung Grundgedanken eines internationalen Vertrages konterkariert, haben die Gerichte anderer Länder die Möglichkeit, dem entgegenzutreten. So kann, wie im vorliegenden Fall, der  Empfänger von Gut, das von einem französischen Transportunternehmer in einen anderen Vertragsstaat der CMR geliefert wird, vor bösen Überraschungen geschützt werden. Ob allerdings die französischen Gerichte dem folgen werden, darf bezweifelt werden. Deshalb ist jedem deutschen Empfänger, der sich einer Forderung eines französischen Frachtführers auf Grundlage von Artikel L 132-8 des französischen Handelsgesetzbuchs ausgesetzt sieht, zu raten, schnellstmöglich kompetenten Rechtsrat einzuholen.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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