Rechtsanwalt Dr. jur. Ingo E. Fromm, Rechtsberater in Koblenz
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Donnerstag, 13.09.2007

Risiken der Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 a StPO bei Verkehrsstraftaten



von
Dr. jur. Ingo E. Fromm
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Strafrecht
Fachanwalt für Verkehrsrecht

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I. Einleitung

Die Einstellung des Verfahrens nach Opportunitätsgrundsätzen gem. § 153 a StPO hat in der Praxis im Verkehrsstrafrecht seit jeher eine herausragende Bedeutung.[1] Gerade im Verkehrsstrafrecht werden in der Regel massenhaft auftretende Vergehen begangen. Über 300.000 Verfahren im Jahr werden auf diese Weise unter Zustimmung aller Beteiligten verkürzt. Nach § 153 a StPO kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts und des Beschuldigten bekanntlich bei einem Vergehen von der Erhebung der öffentlichen Anklage absehen, wenn bestimmte Auflagen oder Weisungen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und wenn die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. Hebt sich der Umfang des Verschuldens des Täters nicht von durchschnittlich gelagerten Fällen nach oben hin ab und handelt es sich nicht um einen chronischen Verkehrssünder, so bestehen realistische Aussichten auf eine Einstellung des Verkehrsdelikts des Täters. Aus anwaltlicher Sicht können bei entsprechendem Engagement für den Beschuldigten insbesondere in Form von schriftlichen Stellungnahmen zum Tatvorwurf und Kontaktaufnahmen zur Staatsanwaltschaft vor allem im Ermittlungsverfahren beachtliche Erfolge errungen werden. Eine Einstellung kommt auch noch in der Hauptverhandlung gem. Abs. 2 der Vorschrift in Betracht. Die Vorschrift des § 153 a StPO ist den widerstrebenden Interessen zwischen Staatsanwaltschaft und Beschuldigtem in der Tat geradezu „auf den Leib geschneidert“[2]. Die Staatsanwaltschaft kann das Verfahren verhältnismäßig zügig und effizient und mit einer strafadäquaten Auflage abschließen, ohne dabei auf eine Sanktion verzichtet zu haben. Die Verteidigung kann eine Anklage/Strafbefehl vermeiden und damit einen Erfolg vorweisen. Die Gerichte werden entlastet, indem unter Umständen eine aufwändige Beweisaufnahme erspart bleibt und kein Urteil ergehen muss. Ist der Strafvorwurf nicht gänzlich von der Hand zu weisen, so besteht in einer Einstellung die einzige Chance, dass das Strafübel zur Vermeidung eines Strafbefehls oder einer Anklageschrift ausgeräumt wird. Lehrbücher zum Strafzumessungsrecht haben diese Entwicklung bereits umgesetzt und unterteilen das Kapitel von bestimmten Verkehrsstraftaten in „Strafen“ und „Einstellung nach § 153 a StPO“, bezeichnender Weise in umgekehrter Reihenfolge.[3]

Das Streben nach einer Einstellung des Verfahrens kann jedoch Tücken haben: Da mit dem Vorwurf der Verwirklichung eines bestimmten Tatbestandes auch zivilrechtliche Folgefragen verbunden sind, läuft oft neben dem Strafverfahren parallel oder zeitversetzt ein Zivilverfahren mit einheitlichem Verfahrensgegenstand. Bei einer fahrlässigen Körperverletzung nimmt die Versicherung eine Einstellung nach § 153 a StPO oft zumindest als Indiz für ein Verschulden. Der Hauptanwendungs- und auch Problemfall dieses Spannungsverhältnisses erscheint in der Praxis jedoch das unerlaubte Entfernen vom Unfallort zu sein. Hier ist bis zu gewissen Schadenhöhen regelmäßig eine Einstellung im Strafverfahren zu erwirken.

Steht also z.B. der Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 142 StGB im Raum, hätte das Zivilgericht zu klären, ob die Kfz-Versicherung aufgrund einer vorsätzlichen Aufklärungspflichtverletzung des Versicherungsnehmers im Falle der Verwirklichung des Straftatbestandes von ihrer Leistung gem. §§ 7 I Abs. 2 S. 3, V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG frei geworden ist. Selbst im Falle der Einstellung des Strafverfahrens kann dieses Verfahren für den Zivilprozess umfangreiches Aktenmaterial liefern, welches im Zweifel dort beigezogen wird.

Der vorliegende Beitrag soll sich mit den Vorzügen und Risiken befassen, die eine Einstellung des Strafverfahrens für Folgeprozesse anderer Gerichtszweige, insbesondere der Zivilgerichte, haben kann. Vor dem Zivilrichter kann insbesondere ein böses Erwachen drohen, wenn dieser aufgrund der Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 a StPO auf ein Geständnis oder Verschulden schließt und den Beschuldigten bzw. seine KfZ-Haftpflichtversicherung wegen des Unfalls zu hohen Entschädigungsansprüchen verurteilt oder in Regress nimmt. Im Nachhinein kann sich deshalb die Frage stellen, ob dem Strafverteidiger hier vorgeworfen werden kann, überhastet und unüberlegt im Strafverfahren einen „Pyrrhus-Sieg“ errungen zu haben, der sich auf die anschließende Zivilrechtsstreitigkeit nachteilig auswirken kann. In diesem Zusammenhang werden auch die Haftungsrisiken eines Anwalts dargestellt. Zunächst wird jedoch auf die Vorzüge des § 153 a StPO eingegangen.

II. Auswirkungen einer strafrechtlichen Einstellung auf das Zivilverfahren

1. Die Vorteile einer Einstellung gem. § 153 a StPO

Bei Straßenverkehrsdelikten kommt die Einstellung des Verfahrens dem Beschuldigten doppelt entgegen: Der Beschuldigte bleibt strafrechtlich unbescholten, es entfällt nicht nur eine Eintragung im Bundeszentralregister, es werden auch keine Punkte im Verkehrszentralregister in Flensburg eingetragen (vgl. § 28 StVG). Da der Sachverhalt als Vergehen nicht mehr verfolgt werden kann, scheidet auch eine Abgabe der Angelegenheit zur Prüfung des Vorliegens einer Ordnungswidrigkeit an die Verwaltungsbehörde aus.[4] Nicht verhindert werden kann freilich, dass einige Staatsanwaltschaften Einstellung gem. § 153 a StPO in ihre internen Listen aufnehmen, was zur Folge haben kann, dass sie in einem Wiederholungsfall eine Zustimmungserklärung zur Einstellung ablehnen.[5]

Auch im Hinblick auf bei einer Verurteilung drohende hohe Verfahrens- und Rechtsanwaltskosten kann eine Einstellung oft interessant sein. Die Verfahrenskosten trägt gem. § 467 I StPO die Staatskasse. Die notwendigen Auslagen werden nach Absatz 5 nicht erstattet, werden aber bei rechtsschutzversicherten Mandanten i.d.R. von der Rechtsschutzversicherung übernommen. Im Falle einer Verurteilung wegen einer Vorsatztat, wie z.B. dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort, hätte die Rechtsschutzversicherung die Kosten nicht erstattet. Kommt das Gericht nämlich zur Feststellung, dass der Versicherungsnehmer die Verkehrsstraftat wissentlich und willentlich verwirklicht hat, entfällt rückwirkend der Versicherungsschutz.[6] Im Falle einer zwischenzeitlichen Bezahlung des Rechtsanwaltshonorars wäre der Verurteilte zur Rückzahlung des Honorars gem. § 20 Abs. 4 S. 1 ARB 75 verpflichtet.[7] Sollte keine Rechtsschutzversicherung vorliegen, besteht der Vorteil einer Einstellung auch darin, dass die Kosten der Bezahlung eines Sachverständigen erspart bleiben, die sonst im Falle der Fortführung des Strafverfahrens zur Prüfung der Erfüllung des Straftatbestandes angefallen wären und im Falle der Überführung vom Verurteilten zu tragen sind.

2. Wechselwirkungen des § 153 a StPO mit der zivilrechtlichen Verkehrsunfallabwicklung

In der Zivilrechtsprechung bestehen massive Unsicherheiten im Umgang mit einer bereits beschlossenen Verfahrenseinstellung nach § 153 a StPO. Laufend befassen sich Zivilgerichte mit dem Zusammentreffen einer Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO und zivilrechtlichen Folgeprozessen. Interessanterweise kann man bei der Analyse zivilgerichtlicher Entscheidungen unterschiedliche Auffassungen diesbezüglich feststellen, die sich grob in folgende drei Gruppen unterteilen lassen:

a.) Teilen der Rechtsprechung reicht der Hinweis auf eine Einstellungsverfügung nach § 153 a StPO als Beleg für den oben bereits erwähnten Hauptproblemfall der Unfallflucht aus. So hielt beispielsweise das Amtsgericht München[8] keine eigene Beweisaufnahme im Zivilrechtsstreit mehr für notwendig und griff allein auf die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft zurück. Diese könne als Urkunde verwertet werden, ohne dass es auf das Einverständnis der Verwertung durch eine Partei ankomme. Für das AG war es selbstverständlich, dass „...eine Einstellung nach § 153 a StPO wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort voraus (setzt), dass der Tatbestand vollumfänglich erfüllt ist. ...“. Daher könne der Kläger sich nicht – mehr -  darauf berufen, seine Schadensverursachung sei zweifelhaft und er habe den Unfall gar nicht bemerkt. Ein Gutachten zur Bemerkbarkeit der Kollision sah das Gericht nicht mehr als erforderlich an. Die „Einlassung“, dass er nichts von einem Unfall gemerkt habe, sei nicht nachvollziehbar. Ähnlich urteilte z.B. das Oberlandesgericht Köln[9]: Auch hier ging es um die Problematik, ob die beklagte Kfz-Versicherung aufgrund einer vorsätzlichen Aufklärungspflichtverletzung des Klägers aufgrund des unerlaubten Entfernen vom Unfallort gem. § 142 StGB von ihrer Leistung gem. §§ 7 I Abs. 2 S. 3, V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG frei geworden ist. Nach der Auffassung des OLG Köln spricht die Zahlung der Geldbuße für die Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 a StPO „dafür, dass der Kl. selbst nicht davon ausgegangen ist, sich korrekt verhalten zu haben.“[10]

b.) Wohl auch ein Verschulden, aber nur ein leichtes, entnahm das OLG Hamm einer Einstellung gem. § 153 a StPO. Schließlich kam es damit nahezu zu einem entgegengesetzten Ergebnis, indem es die vorläufige Einstellung im Strafverfahren wegen § 142 StGB letztlich zugunsten des ehemaligen Beschuldigten wertete.[11] Das Oberlandesgericht hatte über die Frage der Begründetheit eines Regressanspruchs einer Kfz-Haftpflichtversicherung zu entscheiden. Zwar sei ein Verstoß gegen § 142 StGB eine Aufklärungspflichtverletzung gem. §§ 7 I Abs. 2 S. 3, V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG. Dies reiche jedoch für eine Leistungsfreiheit nicht aus. Nach der „Relevanzrechtsprechung“ müsse die Judikative prüfen, ob sich das Entfernen vom Unfallort nicht nur als ein leichtes Verschulden darstelle.[12]Letzteres sei hier anzunehmen, meint das OLG Hamm: „Immerhin hat der Jugendrichter, nachdem er sich einen persönlichen Eindruck vom Bekl. verschafft hat, dem Rechnung getragen und trotz des erheblichen Fremdschadens das Verfahren gem. § 153 a StPO gegen Zahlung einer Geldbuße vorläufig eingestellt.“[13]

c.) Nach der dritten Auffassung in der Rechtsprechung muss die Frage, ob eine Obliegenheitsverletzung gegenüber der Fahrzeugversicherung begangen wurde, anhand von Beweismitteln überprüft werden, da diese Frage „durch die Einstellungsverfügung nach § 153 a StPO im eingeleiteten Strafverfahren letztendlich unentschieden geblieben ist“[14]. Auch das  AG Diez[15] führte beispielsweise erst kürzlich wieder trotz einer Einstellung des Strafverfahrens wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gem. § 153 a StPO im Zivilrechtsstreit eine ausführliche und eigene Beweisaufnahme durch. Es kam im Ergebnis nur zur Leistungsfreiheit wegen Verstoßes gegen § 7 I AKB, da die Beweisaufnahme –unabhängig von der strafrechtlichen Entscheidung- das Bemerken des Anstoßes belegen konnte.

d.) Aufgrund der stark differierenden Rechtsprechung stellt sich also die Frage, ob der Anwalt seinem Mandanten gar von der Einstellung des Verkehrsdelikts aus Opportunitätsgründen abraten und mit dem Beschuldigten den riskanten Weg in die strafrechtliche Hauptverhandlung gehen muss, nur, damit er hiermit die Chancen auf einen besseren Ausgang des Zivilprozesses wahrt oder insbesondere auch einen Regress vermeidet. Wäre dem so, müsste der Strafverteidiger künftig im Hinblick auf ein Hinwirken auf eine Einstellung gem. § 153 a StPO äußerste Vorsicht walten lassen.

Dies kann nach Ansicht der Verfasser jedoch nicht der Fall sein. Die Verfahrenserledigung von Strafverfahren ist nicht zuletzt aus dem Grunde für den Beschuldigten von hohem Wert, da die Unschuldsvermutung gem. Art. 6 II EMRK[16] weiterhin gilt. In keinem Fall darf mithin ein Gericht ohne weitere Prüfung mit Verweis auf die Verfahrenseinstellung gem. §153 a StPO vom Nachweis der Tat ausgehen. Die oben dargestellte erste Auffassung ist daher wie wohl auch die zweite abzulehnen. Das Zivilgericht muss sich seine eigene Überzeugung vom Sachverhalt bilden. Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf eine strafgerichtliche Entscheidung festgestellt, dass eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht aus dem Grunde dahin stehen könne, weil der Verurteilte mit seiner Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 a StPO seine Schuld eingeräumt habe. Damit verkenne das Landgericht das Wesen der Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 a StPO.[17]

Bekanntlich ist schon eine Bindung des Zivilrichters an strafgerichtliche Urteile mit der das Zivilprozessrecht beherrschenden freien Beweiswürdigung nicht vereinbar.[18] Der Zivilrichter muss sich seine Überzeugung grundsätzlich selbst bilden und ist regelmäßig auch nicht an einzelne Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden.[19] Gesetzesvorhaben, die zur Beschleunigung des Verfahrens eine Bindungswirkung strafrechtlicher Feststellungen für den Zivilprozess erreichen wollten, wurden – noch – nicht umgesetzt. Durch den Entwurf eines § 415a ZPO-JuMoG sollte rechtskräftigen Strafurteilen volle Beweiskraft bezüglich dort erwiesener Tatsachen für den Zivilprozess zukommen.[20]

Die mangelnde Bindungswirkung muss „erst-recht“ für Verfahrenseinstellungen nach Opportunitätsgrundsätzen gelten. Wenn selbst die rechtskräftige Feststellung der Schuld des Angeklagten im Strafverfahren noch nicht dazu ausreicht, dass der Zivilrichter von der für den Verurteilten nachteiligen Tatsache ausgeht, so muss dies auch für Einstellungen nach Opportunitätsgrundsätzen gelten. Die Einstellung des Strafverfahrens gem. § 153 a StPO ist keine strafrechtliche Erkenntnis.[21]

3. Anwendbarkeit und Voraussetzungen der Vorschrift des § 153a StPO

Der differierende Umgang von Zivilrichtern mit einer Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO lässt sich nur so erklären, dass die Voraussetzungen des § 153 a StPO in Literatur und Rechtsprechung stark umstritten sind. Es ist daher für ein mögliches Verständnis zunächst dogmatisch der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zu beleuchten:

a.) Dieser setzt zunächst voraus, dass bestimmte Auflagen oder Weisungen geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Dass diese Voraussetzung in der Praxis oftmals äußerst lax gehandhabt wird, ist im Zusammenhang mit der Einstellung des Strafverfahrens gegen Dr. Helmut Kohl heftig kritisiert worden,[22] vereinzelt war in diesem Zusammenhang gar die Abschaffung des § 153 a StPO gefordert worden.[23] Nach der zumindest zweifelhaften Einstellung des - in der Öffentlichkeit viel beachteten - Ackermann-Prozesses ist die Existenzberechtigung der Norm erneut in Frage gestellt worden.[24] In der Presse war teilweise  von „Kapitulation der Justiz vor dem großen Geld“ und „Freikaufen“ die Rede.[25] Auch hier war heftig kritisiert worden, dass Auflagen und Weisungen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zweifelsohne nicht zu beseitigen in der Lage waren.[26] Zumindest veranschaulichen die Beispiele der – nach einer sicherlich breiten Meinung in der Bevölkerung – verfehlten Anwendung der Vorschrift, dass ein beträchtlicher Ermessensspielraum eröffnet ist, denn das öffentliche Interesse ist nur schwer messbar.[27]

b.) Umstritten ist darüber hinaus, welche Anforderungen an einen Tatverdacht zu stellen sind.

Mit dem Argument, von der Erhebung einer öffentlichen Klage könne nicht abgesehen werden, wenn überhaupt nichts strafrechtlich Relevantes vorliege, wird gemeinhin verlangt, dass das Legalitätsprinzip nur durchbrochen werden könne, wenn der Beschuldigte überhaupt verdächtig sei, das Delikt nach dem Ermittlungsergebnissen begangen zu haben.[28] Jedenfalls ein hinreichender Tatverdacht sei Voraussetzung der Anwendung der Norm.[29] Unter Verweisung auf die Materialien wird argumentiert, ohne ein entsprechendes Ermittlungsergebnis könne § 153 a StPO nicht angewandt werden.[30] Dies sei schon damit zu erklären, dass ansonsten die Höhe der Auflage, die sich nach dem Maß der Schuld richtet, nicht beziffert werden könne.

Teilweise wird für die Verfahrenserledigung eine gewisse Schuldfeststellung verlangt.[31] Dies wird mit dem Wortlaut der Vorschrift begründet, der verlangt, dass die Schwere der Schuld dem Vorgehen gem. § 153 a StPO nicht entgegen stehen darf. Die Einstellung stützt sich jedenfalls nicht auf eine Gewissheit über die Schuld.[32] Der Makel einer schuldhaften Gesetzesverletzung soll hier gerade vermieden werden.[33] Daher ist das Strafverfahren nicht mit einem entsprechenden Beleg der Schuld des Beschuldigten beendet, sondern es wurde nur ein Verfahrenshindernis herbeigeführt.

Nach einer etwas weiteren Auffassung reichen auch unvollständige Erkenntnisse über den zugrundeliegenden Sachverhalt aus.[34] Allerdings sei zu fordern, dass der Aufwand der weiteren Tatsachenerhebung außer Verhältnis zu einer Bestrafung stehe.[35] Diese Auffassung hat sich in der Praxis als die herrschende herauskristallisiert. Kritiker[36] dieser Auffassung geben zu bedenken, dass diese Meinung zu einer „Ökonomisierung des Strafverfahrens“ führen könnte. In der Tat ist der Begriff des unfertig ermittelten Sachverhalts dehnbar. Darf beispielsweise ein unerlaubtes Entfernen vom Unfallort schon eingestellt werden, ohne dass ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde, welches zur akustischen, visuellen und taktilen Wahrnehmbarkeit des Unfalls durch den Beschuldigten Stellung genommen hat, wenn dieser bestreitet, den Unfall wahrgenommen zu haben? Reichen unter Umständen schon die Wahrnehmungen der ermittelnden Beamten aus, die – laienhaft – trotz möglicher Vorschäden des Fahrzeugs bei Inaugenscheinnahme der Fahrzeuge von der entsprechenden Herkunft des Schadens überzeugt sind?

Klar zu weit geht eine Auffassung, die für eine Einstellung gem. § 153 a StPO ein Geständnis des Beschuldigten fordert.[37] Vom Beschuldigten kann nämlich nicht abverlangt werden, sich selbst zu belasten. Die Meinung beruht auf einer Fehldeutung der notwendigen Zustimmung des Beschuldigten zur Einstellung gem. § 153 a StPO. Ferner wäre eine Verpflichtung zum Geständnis, um in den Genuss einer Einstellung zu kommen, bedenklich im Hinblick auf den „nemo-tenetur-Grundsatz“. Insoweit ist dem Landgericht Bonn zuzustimmen, welches ausgeführt hatte, dass eine Einstellung kein „Schuldeingeständnis“[38] bedeute.

4. Anwaltliches Haftungsrisiko des Verteidigers

Aus anwaltlicher Sicht kann bei der Verfahrenseinstellung des § 153 a StPO ein Haftungsrisiko bestehen.[39] Nach dem bisher Dargelegten kann dies jedoch nicht darin gesehen werden, dass das Zivilgericht eine Zustimmung des Beschuldigten im Rahmen des § 153 a StPO als Schuldfeststellung oder -eingeständnis wertet und zivilrechtlich zulasten des Mandanten entscheidet. Hier liegt kein Fehler des Anwalts vor. Der Verteidiger sollte sich gleichwohl absichern, indem er seinen Mandanten umfassend berät und aufklärt. Hierzu gehört auch ein Hinweis auf die fortgeltende Unschuldsvermutung und die hiergegen oft verstoßende Praxis (vgl. 3.). In dem Zusammenhang sollte auch ein Hinweis darauf erfolgen, dass für den Mandanten unter Umständen eine Zivilklage drohen kann.

Darf der Verteidiger nun selbst bei unsicherer Beweislage eine Verfahrenseinstellung einfädeln oder dieses Angebot der Staatsanwaltschaft aus rein verfahrensökonomischen Gründen annehmen? Dies richtet sich in erster Linie nach den Weisungen der Mandantschaft. Geht es dem Mandanten nur darum, sich durch die vorzeitige Einstellung die Unannehmlichkeiten einer öffentlichen Hauptverhandlung zu ersparen, so muss der Verteidiger dies auch bei Chancen auf einen Freispruch akzeptieren. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnete diese Verfahrenseinstellung gegen eigene Überzeugung als „einen Akt der Selbstunterwerfung“[40]. Im Übrigen kann hier kein Haftungsrisiko des Anwalts bestehen, da bei Vorliegen von Weisungen des Mandanten die Pflichtwidrigkeit des Rechtsanwalts regelmäßig ausscheidet.[41]

Selbst im Falle eines nicht sicheren, aber durchaus realistischen späteren Freispruchs darf der Verteidiger die Einstellung gem. § 153 a StPO mit Blick auf die bestehenden Rest(kosten-) risiken (Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten) nahe legen. Unter Umständen muss er dies sogar: Der Rechtsanwalt ist nämlich nach höchstrichterlicher Rechtsprechung verpflichtet, in jeder Verfahrenslage den sichersten Weg zur Erlangung des Verfahrensziels des Mandanten einzuschlagen.[42] Der Bundesgerichtshof[43]  hat hierzu ausgeführt: „Er (scil: der Rechtsanwalt) muß sein Verhalten so einrichten, daß er Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, vermeidet. Er hat, wenn mehrere Maßnahmen in Betracht kommen, diejenige zu treffen, die die sicherste und gefahrloseste ist, und, wenn mehrere Wege möglich sind, um den erstrebten Erfolg zu erreichen, den zu wählen, auf dem dieser am sichersten erreichbar ist.“ Dies bedeutet, dass der Verteidiger im Falle einer nicht ganz auszuschließenden Verurteilung des Beschuldigten auch eine schmerzhafte Geldauflage als geringeres Übel anstreben muss. Hinzu kommt, dass dem Rechtsanwalt in verteidigungsstrategischen Entscheidungen ein weiter Spielraum obliegt.[44] Die Einschätzung des Verurteilungsrisikos ist ex ante vorzunehmen und als solche als Ermessensentscheidung nicht voll gerichtlich überprüfbar. Eine Zurückweisung einer Verfahrenseinstellung muss nur im Falle eines komplikationslosen  Freispruchs des Angeklagten erfolgen. Gerichtliche Entscheidungen, in denen dem Beschuldigten wegen eines strategischen Fehlers des Verteidigers ein Schadensersatz zugesprochen worden ist, sind nicht bekannt.

Interessanterweise hat sich allerdings die Rechtsprechung mit Fehlern eines Verteidigers im Zusammenhang mit anwaltlichen Initiativen zur Einstellung von Strafprozessen gegen Geldauflage bereits befasst: In einem Fall hatte es der Verteidiger versäumt, vor einer Einstellung des Verfahrens gem. § 153 a StPO Akteneinsicht zu nehmen. Es war nach Einspruch gegen einen Strafbefehl noch vor der Hauptverhandlung eine Verständigung zwischen den Verfahrensbeteiligten dahingehend zustande gekommen, dass das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt wurde. Bei der anschließenden Akteneinsicht ergab sich, dass hinsichtlich des Vorwurfs bereits Verfolgungsverjährung eingetreten war.[45] Dies war offenbar auch von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht übersehen worden.

Fraglich ist, ob Gebrauch von der Einstellung gemacht werden darf, wenn allein aus rechtlichen Gründen zweifelhaft ist, ob überhaupt ein Straftatbestand erfüllt ist. Hiergegen könnte sprechen, dass vom Rechtsanwalt verlangt werden kann, die Strafbarkeit des Verhaltens des Beschuldigten lückenlos zu überprüfen. Bei fehlender Strafbarkeit ist das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts einzustellen. Wird gleichwohl einer Einstellung zugestimmt, so kann dies für einen anwaltlichen Haftpflichtfall sprechen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass vor Amtsgerichten in der Regel kein Raum für dogmatische Meinungsstreitigkeiten ist und ein Fehlurteil oft erst in der Berufungsinstanz korrigiert werden kann. Ferner wird die Vorschrift mittlerweile in der Praxis auch bei unklarer Gesetzeslage angewandt.[46] Dies hatte das Landgericht Bonn im Zusammenhang mit der Einstellung des Strafverfahrens gegen Dr. Helmut Kohl ebenso wie das Bundesverfassungsgericht dargelegt.[47]

III. Zusammenfassung

1. Schlussendlich kann festgehalten werden, dass die Verfahrenseinstellung gem. § 153 a StPO durchaus als anwaltlicher Verdienst angesehen werden muss, wenn nach Abwägung aller Risiken eine Verurteilung des Beschuldigten ernstlich droht.

2. Die Einstellung nach § 153 a StPO darf dem Mandanten zivilrechtlich nicht negativ ausgelegt werden. In einem zivilrechtlichen Regressprozess gegen den angeblichen Unfallflüchtigen wären bei einer Einstellung nach § 153 a StPO die entsprechenden Voraussetzungen des § 142 StGB bzw. die Aufklärungspflichtverletzung zu belegen und zu beweisen.

3. Aufgrund der fehlenden Bindungswirkung dieser Verfahrenserledigung für eigene zivilrechtliche Ansprüche und Regressansprüche der eigenen KfZ-Haftpflichtversicherung begibt sich der Verteidiger nicht in ein erhöhtes Haftungsrisiko, wenn er die Einstellung nach § 153 a StPO einfädelt. Der Rechtsanwalt sollte seinen Mandanten jedoch ausführlich beraten und belehren und ihm die in der Praxis möglichen zivilrechtlichen Risiken aufzeigen, insbesondere auch die hier oft zu Unrecht angenommene Indizwirkung.

4. Abgesehen von den Aufsehen erregenden Fällen der zweifelhaften Anwendung der Vorschrift auf Prominente ist auch in der Praxis eine ausufernde Anwendung der Opportunitätsgrundsätze auf Sachverhalte zu beobachten, die in keinster Weise „durchermittelt“ sind und in denen aus „verfahrensökonomischen Gründen“ offen bleibt, ob das Verhalten des Beschuldigten einer Strafnorm unterfällt und diese tatsächlich verwirklicht ist. Die inflationäre Anwendung des § 153 a StPO ist vor allem damit zu erklären, dass nur so ein Kollaps der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte verhindert werden konnte bzw. kann.

5. Angesichts der extensiven Anwendung der Norm, die oft über den Wortlaut hinaus geht, darf eine Einstellung des Strafverfahrens um so mehr keine Indizwirkung für nachfolgende Zivilprozesse entfalten. Versuchen der zivilgerichtlichen Rechtsprechung, die Zustimmung des Beschuldigten zur Einstellung in ein Schuldanerkenntnis oder Geständnis umzumünzen, muss daher ein Riegel vorgeschoben werden, insbesondere aufgrund der fortgeltenden Unschuldsmutung des Art. 6 II EMRK.


[1] Kaiser, „Tuschelverfahren“ und „Millionärsschutzparagraph?“, NStZ 1984, 343.

[2] Kaiser, NStZ 1984, 343, 347.

[3] Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Auflage 2001, Rn 949.

[4] Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., Rn 704.

[5] Andrejtschitsch/Walitschewski, Buechting, RAnwHdb., 8. Aufl., Rn 114.

[6] AG Mainz, ZfS 1989, 90; AG Koblenz, ZfS 1990, 270.

[7] Bauer, in Harbauer, Rechtsschutzversicherung, ARB-Kommentar, 7. Aufl., § 20 ARB 75 Rn 31.

[8] Az. 132 C 26290/05 (nicht rechtskräftig).

[9] r+s 1988, 289.

[10] r+s 1988, 289, 290.

[11] OLG Hamm, NJW-RR 2000, 172, 173.

[12] BGH, NVersZ 1999, 137.

[13] OLG Hamm, NJW-RR 2000, 172, 173.

[14] LG Itzehoe, NJW-RR 1988, 800.

[15] Urteil vom 09.08.2006 - 8 C 93/05, SVR 2006, 430.

[16] „Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“

[17] BVerfG, NStZ-RR 1996, 168, 169.

[18] Stein/Jonas/Schlosser, ZPO 22. Aufl., § 14 EGZPO Rn. 3.

[19] BGH NJW-RR 2005, 1024 f.; OLG Koblenz, NJW-RR 1995, 727, 728.

[20] hierzu: Huber, ZRP 2003, 268, 271; Lange/Müller, ZRP 2003, 410, 411: Nach dem Justizbeschleunigungsgesetz sollte zudem der Entwurf eines § 286 III ZPO eine Bindungswirkung strafgerichtlicher Feststellungen für den Zivilprozess feststellen. Die Vorschrift wurde jedoch ebenso nicht eingeführt.

[21] BVerfG, NJW 1996, 3353, 3354.

[22] Hamm, NJW 2001, 1694 ff.

[23] Naucke, FAZ v. 10.03.2001, 11.

[24] Jungholt, in: Die Welt vom 30.11.2006.

[25] Die Welt vom 29.11.2006.

[26] Jungholt, in Die Welt vom 30.11.2006.

[27] Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153 a Rn 12.

[28] Hamm, NJW 2001, 1694.

[29] BVerfG NStZ-RR, 1996, 168.

[30] Schoreit, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, § 153 a Rn 10.

[31] Schoreit, a.a.O. Rn 10.

[32] BVerfG, NStZ-RR, 1996, 168, 169.

[33] BVerfG, NJW 1996, 3353, 3354.

[34] Hamm, NJW 2001, 1694.

[35] Hamm, NJW 2001, 1694.

[36] Schöch, in AK, § 153 a StPO, Rn 12.

[37] hierzu: Kaiser, NStZ 1984, 343, 349.

[38] NJW 2001, 1736.

[39] Hierzu: Vollkommer/Heinemann, Anwaltshaftungsrecht, 2. Aufl., 2003, Rn 601.

[40] NJW 1996, 3353, 3354.

[41] Krause, Die zivilrechtliche Haftung des Strafverteidigers, NStZ 2000, 225, 229.

[42] RGZ 151, 259, 264.

[43] NJW 1988, 486, 487.

[44] Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 4. Aufl., Rn 956.

[45] AnwBl 1986, 31, 32.

[46] LG Bonn, NJW 2001, 1736.

[47] LG Bonn, NJW 2001, 1736; BVerfG, NJW 1996, 3353, 3354

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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