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Samstag, 01.10.2011

Der „selbständige“ Kraftfahrer – Problemstellung für das Transport- und Speditionsgewerbe



von
Dr. jur. Gerhard Wolter
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht

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Zur Vermeidung von Lenkzeitüberschreitungen bei der Stammbelegschaft und dadurch drohenden Sanktionen sind Transportunternehmen häufig gezwungen, zur termingerechten und dennoch kostengünstigen Erfüllung der Frachtaufträge auf Subunternehmer, auch in Form des einzelnen „selbstständigen“ Fahrers, zurückzugreifen. Nach wie vor scheinen in der Praxis keine klaren Vorgaben zu existieren, an denen sich die Transportunternehmer sicher orientieren können.

Trotz jahrelanger Diskussion um das Thema herrscht eine allgemeine Verunsicherung über die Frage, ob einzelne Fahrer als „Selbständige“ von Speditionen als Subunternehmer eingesetzt werden können. Die Praxis der Hauptzollämter und Sozialversicherungsträger bei der rechtlichen Einordnung der Rechtsverhältnisse der Speditionsunternehmen zu ihren Subunternehmen zielt auf möglichst hohe Beitragszahlungen zur Sozialversicherung; aus den Begründungen der Beitragsbescheide lassen sich nur schwerlich verlässliche Rückschlüsse ziehen. Dennoch können entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu diesem Thema einige Merkposten aufgestellt werden.

Persönliche, nicht wirtschaftliche Abhängigkeit

Abgesehen von branchenspezifischen Besonderheiten des Speditionsgewerbes ist derjenige als abhängig Beschäftigter i.S.v. § 7 Absatz 1 S. 2 SGB IV zu qualifizieren und damit grundsätzlich in allen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtig, der persönlich abhängig ist. Nicht entscheidend ist, ob eine wirtschaftliche Abhängigkeit besteht. Letztere wäre im Transportgewerbe immer schon dann zu  bejahen, wenn ein Subunternehmer auf die Auftragserteilung durch ein bestimmtes Speditionsunternehmen angewiesen wäre, etwa weil dieses der wichtigste Auftraggeber des Subunternehmers ist. Die konkrete Bewertung hat stets mittels einer Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles zu erfolgen. In der einschlägigen Rechtsprechung sind zahlreiche Kriterien als berücksichtigungsfähig herausgearbeitet worden. Große Bedeutung kommt der Frage zu, ob der Subunternehmer bzw. dem Fahrer einem sog. Direktionsrecht des Hauptunternehmers unterstehen. Ein solches bedeutet, dass der Hauptunternehmer die Möglichkeit haben muss, die Arbeitsleistung des Subunternehmers hinsichtlich Ort, Zeit und Art und Weise einseitig zu bestimmen.

Ein weiteres Indiz für die Annahme einer „Scheinselbstständigkeit“ liegt vor, wenn der Subunternehmer bzw. dessen Fahrer in die Arbeitsorganisation des Hauptunternehmers eingegliedert sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Subunternehmer arbeitsteilig mit den Arbeitnehmern des Hauptunternehmers zusammenwirkt. Es spricht auch gegen die Annahme einer abhängigen Beschäftigung, wenn der Subunternehmer selbst ein erhebliches wirtschaftliches Risiko auf sich nimmt, etwa wenn er mit selbst angeschafftem und unterhaltenem Fahrzeug die Transportleistung erbringt. Auch die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer sowie die Erstellung eigener Rechnungen für den Hauptunternehmer sind als gegen eine Sozialversicherungspflicht sprechende Kriterien anerkannt. Starkes Indiz für eine unselbständige Tätigkeit ist, wenn kein eigener bzw. ein eigens vom Hauptunternehmer geleaster LKW zum Einsatz kommt. Wenn sich der Fahrer tatsächlich „bloß selbst vermietet“, tendiert die Rechtsprechung deutlich zur Annahme einer unselbständigen Tätigkeit (z.B. LSG Baden-Württemberg, Beschluß vom 21.11.2008, Az.: L4 4098/06). Es mag Einzelfälle geben, in denen man nach vollständiger Abwägung zum Ergebnis „selbstständig“ kommen kann. Grundsätzlich ist jedoch von einem  Einsatz von Fahrern ohne eigene LKW als vermeintlich Selbständige ohne fundierte juristische Prüfung dringend abzuraten, da eine korrekte und lebensnahe Gesamtabwägung praktisch immer zum Ergebnis „scheinselbstständig“ kommen wird.

Besonderheiten des Transportgewerbes

Das Bundesarbeitsgericht hat schon im Jahr 1998 (vgl. BAG vom 19.11.1997, Az.: 5 AZR 653/96) betont, dass bei der Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status die Besonderheiten des Transportgewerbes besondere Berücksichtigung finden müssen. Die Rechtsbeziehungen zwischen dem Speditionsunternehmen und dem jeweiligen Frachtführer seien schon nach dem gesetzlichen Leitbild durch ein hohes Maß an „persönlicher Unfreiheit“ geprägt. Der Gesetzgeber habe den Frachtführer als Gewerbetreibenden und damit als Selbständigen eingeordnet.

Bekanntlich hat der Frachtführer in aller Regel klare Vorgaben des beauftragenden Speditionsunternehmens zu befolgen; ohne die Einhaltung dieser Vorgaben ist der Frachtauftrag schlichtweg undurchführbar. Es versteht sich, dass dem Speditionsunternehmen die Möglichkeit gegeben sein muss, dem Frachtführer vorzugeben, wann dieser wo welche Güter aufzuladen, und schließlich abzuladen hat. Daraus kann aber nicht schon auf das Bestehen einer Sozialversicherungspflicht geschlossen werden. Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung herausgearbeitet, dass all jene Vorgaben, die ausschließlich zum Erfolg des Frachtauftrages erforderlich sind, für sich gesehen noch nicht für eine abhängige Beschäftigung sprechen. Dies soll auch dann gelten, wenn, wie häufig praktiziert, das Rechtsverhältnis zwischen Haupt- und Subunternehmer auf Dauer angelegt ist. Vielmehr, so das Bundesarbeitsgericht, könne nur dann von einer Sozialversicherungspflicht ausgegangen werden, wenn eine über die üblichen Vorgaben hinausgehende „Verdichtung“ der Rechtsbeziehungen zwischen Haupt- und Subunternehmer/Fahrer erfolgt ist.

Keine „Verdichtung“ der Rechtsbeziehungen

Das Bundesarbeitsgericht macht weiter deutlich, wann eine solche Verdichtung mit der Folge einer Sozialversicherungspflicht vorliegen kann. So führt das Gericht aus, dass eine „ständige Dienstbereitschaft“ für eine abhängige Beschäftigung sprechen könne. Eine solche sei dann gegeben, wenn sich der Frachtführer stets für Fahrten bereithalten müsste (Beschl. BAG vom 30. 11. 1994, Az.: 5 AZR 704/93). Ebenso spreche die Pflicht zur Abstimmung von über den konkreten Frachtauftrag hinausgehenden An- und Abwesenheitszeiten für eine derartige „Verdichtung“. Mithin könne auch für eine abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sprechen, wenn der Frachtführer faktisch keine Möglichkeit hat, Aufträge von anderen Speditionsunternehmen zu übernehmen. Die Vereinbarung von Kontrollen durch den Spediteur im Verhältnis zum Frachtführer, die aus haftungsrechtlichen Gründen erforderlich sind, lässt jedoch regelmäßig nicht auf eine unselbständige Beschäftigung schließen. Das Aufstellen verbindlicher Verhaltens- und Ordnungsregeln etwa dergestalt, dass der Frachtführer gegenüber den Kunden höflich und gepflegt aufzutreten hat, geht demgegenüber über den üblichen Pflichtinhalt eines Frachtauftrages hinaus. 

Insgesamt wird deutlich, dass Kenntnis der Materie und ein gewisses gestalterisches Geschick erforderlich sind, um einer Beitragspflicht gemäß § 28e SGB IV und einem möglichen Strafverfahren zu entgehen. Wichtig ist, dass sich die Speditionsunternehmen der Problematik bewusst sind und im Vorfeld abklären, welche einzelvertraglichen Vereinbarungen, die mit Frachtführern getroffen und schließlich umgesetzt werden, unschädlich sind. Dabei darf nicht verkannt werden, dass es nicht auf die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses, sondern auf die tatsächlich gelebte Durchführung desselben ankommt. Ein noch so sorgfältig ausgearbeiteter Vertrag ist wertlos, wenn eine konträre Praxis tatsächlich gelebt wird.

Sofern Unsicherheiten verbleiben, kann es sich empfehlen, den sozialversicherungsrechtlichen Status eines potentiellen Subunternehmers im Wege eines Anfrageverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung Bund gemäß § 7a SGB IV vorab klären zu lassen. Ein Antrag auf Durchführung des Verfahrens ist bis zu einen Monat nach Aufnahme der Tätigkeit zu stellen. Der Vorteil dieses Verfahrens liegt darin, dass die DRV vor ihrer Entscheidung mitteilen muss, aufgrund welcher Tatsachen sie welche rechtliche Einordnung vorzunehmen gedenkt. In der Mehrzahl der Fälle bietet es sich dann an, nicht gegen diese Entscheidung vorzugehen, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten bei der Vertragsdurchführung anzupassen. Das Anfrageverfahren kann auch bei Änderung der Umstände wiederholt werden. Gerade in den Fällen, in denen neu gegründete Transportunternehmen als Subunternehmer zunächst ausschließlich für einen Spediteur tätig werden wollen, ist ein solches Vorgehen oftmals zu erwägen.

Fazit

Wenngleich nach den obigen Ausführungen die Notwendigkeit einer genauen Einzelfallbetrachtung besteht, befleißigen sich Hauptzollämter wie Sozialversicherungsträger meistens keiner differenzierten Betrachtungsweise; dies, obwohl im Interesse des häufig am Rande der Rentabilität arbeitenden Speditionsunternehmers eine solche dringend zu wünschen wäre. Immerhin bestehen in vielen Fällen Möglichkeiten, sich mit Erfolg gegen Beitragsbescheide der Rentenversicherungsträger zu wehren oder sich im Rahmen eines etwaigen Strafverfahrens wegen Nichtabführung von Soziaversicherungsabgaben (§ 266a StGB) zu verteidigen.

Die Ausführungen stellen erste Informationen dar, die zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung aktuell waren. Die Rechtslage kann sich seitdem geändert haben. Zudem können die Ausführungen eine individuelle Beratung zu einem konkreten Sachverhalt nicht ersetzen. Bitte nehmen Sie dazu Kontakt mit uns auf.


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